Fermentieren klingt langweilig? Nicht mehr, wenn Sie den Bericht von Foodhunter-Autor Oliver Zelt gelesen haben. Er war bei verschiedenen Köchen der Republik und weiß, warum Gemüse am besten sich selbst überlassen bleiben sollten.
Autor Oliver Zelt, Foto ©Handmade Pictures
Matthias Schmidt ist gespannt. Die rohen Kartoffelscheiben liegen seit zwei Tagen in einer Salzlake. Wie schmecken die jetzt, fragt sich der 2-Sternekoch, um gleich danach kräftig in die Kartoffel zu beißen. Sein Gesicht verzieht sich leicht. „Die sind richtig sauer“. Schmidt selbst ist keinesfalls sauer. Das Experiment mit der langsam vergorenen Kartoffel ist gelungen. Schon einen Tag später knabbert der Frankfurter wieder an der wabbelig werdenden Scheibe. „Einfach super! Jetzt probieren wir jeden Tag.“ Dabei sind rohe Kartoffeln eher ungesund. Natürlich weiß Schmidt das. Aber wenn er eine Scheibe esse, „passiert nichts“. Die fermentierten Knollen will er später blanchieren. Für einen ganz speziellen Kartoffelgenuss.
Fermentieren weckt die Assoziation nach muffiger Luft, dabei geht es um die Verwandlung des Aromas.
Schmidt ist auf der Suche nach dem neuen Geschmack. Nicht roh, nicht gebraten, nicht gekocht. Fermentieren ist der jüngste Trend in der Spitzenküche. Das hört sich nach muffiger Luft an, dabei geht es nicht um Mief und Moder und auch um keine weitere abgedrehte Marotte der Profi-Küchenmeister. Es geht um die Verwandlung des Aromas, den der Verfall bietet.
Fermentieren ist ein alter Hut. Schon zu Urgroßmutters Zeiten wusste die Hausfrau, wie lange sich vergorenes Gemüse im Winter hielt. Für eine Extra-Portion Vitamine schnippelte sie Kohlköpfe klitzeklein, legte die Schnitzel in ein Gefäß, stampften wie wild bis der eigene Saft das Kraut bedeckte, salzte kräftig, setzte den Deckel drauf und wartete bis der im Gemüse enthaltenen Zucker sich in Milchsäure umsetzte und den Kohl sauer und haltbar machte.
Wein, Bier, Joghurt, Käse, es gluckst und blubbert, wenn winzig kleine Organismen unsere Lebensmittel erschaffen. Fermentieren ist immer auch ein bisschen Experiment, weil Leben drin ist.
Die Spitzenküche möchte nun gerne einen drauf setzen. Ein bisschen extremer, ein bisschen extravaganter. Im niederländischen Zwolle fermentiert 3-Sternekoch Jonnie Boer in seinem Restaurant „De Librije“ verschiedene Gemüsesorten zusammen mit Getreide und verwendet den gewonnenen Saft für fantastische Fonds.
Warum sind die meisten deutschen Spitzenköche bei diesen Küchen-Kapriolen noch so zurückhaltend? „Sie bestellen gerne beim Großlieferanten“, sagt Matthias Schmidt, „und zwar alles.“ Man brauche aber „eine Beziehung zur Natur, zum Biobauern um-die-Ecke.“ Haltbar machen ohne Haltbarkeitsdatum, da rümpft der Deutsche außerdem gerne mal die Nase.
Schmidt nimmt es mit Humor und freut sich über seine Gelben Bete, die er milchsauer vergären lies. Da der Frankfurter in seinem Küchen-Konzept mit ausschließlich regionalen Zutaten keine Zitrone benutzt, „versuchen wir so auch Säure für die Gerichte zu erzielen“. Und neue Texturen zu kreieren. Spitzenköche sprechen von Texturen, wenn sie hart knackig, weich cremig oder bröselig meinen. Kohlrabi, Karotte oder Kohlblätter haben dann die Konsistenz „wie al dente Nudeln“. Schmidt und sein Team grillen, trocknen, braten, kochen und fermentieren Kohl. Was passt am besten zu ihren Kreationen? Sie probieren ob schnurpselig, samtig oder sogar roh das Richtige ist. Mit der fermentierten Form haben „wir ein Möglichkeit mehr“.
Zur Avantgarde der deutschen Fermentier-Fans gehört Caroline Baum vom „Reiser am Stein“ in Würzburg. Die Bayerin ist gerade dabei die Geheimnisse des Gourmet-Gärens zu entschlüsseln.
„Wir haben uns da reingelesen und probieren es aus“, sagt Baum. Das Gemüse habe noch Struktur, sei aber ein bisschen weich. Spitzkohl, Kohlrabi, Karotte oder Grünkohl saften im Keller vier bis sechs Wochen vor sich hin, ehe die Köchin sie noch einmal vakuumiert und ins Kühlhaus legt. „Wir können so im Sommer etwas Frisches auf die Karte schreiben, was im Winter vor unsere Haustür gewachsen ist.“ Die Würzburgerin interpretiert Omas Wissen neu: Dazu ziehen Spitzkohlblätter kurz in einem lauwarmen Gemüsesaft durch und kommen als leicht säuerlicher Salat auf den Tisch.
Die Asiaten verstehen nicht, was für ein Buhei die westliche Küchenszene ums Vergären macht. Langsames Reifen in Reiskleie, Sojasauce, Miso, alles das Natürlichste der Welt. Sascha Ludwig, Chefkoch im Berliner „Filetstück“ sieht das genauso. „Was die Familienküche fern von Europa als normal versteht, war auch für meine Oma alltäglich“, sagt er. Fermentieren um haltbar zu machen. Ludwig holt die Ideen der koreanischen Küche und damit Großmutters Machart in die Mitte Berlins. Warum soll ich den Chinakohl nur einfach braten, wenn ich ihn viel besser einlegen kann, fragt er sich. Kimchi, so heißt die koreanische Variante der milchsauer vergorenen Gemüse.
Der Spitzenkoch legt nicht einfach Kohlstreifen in Salzwasser und wartet. Sein Trick: Zwischen die einzelnen Blätter streicht er eine Paste aus Koriandergrün, Ingwer, Petersilie, Piment, Senfkörnern und Korianderkörnern ehe der Chinakohlstapel in den Gärtopf gelangt. Das gibt eine „wundervolle Spitzensäure“, wenn er den fermentierten Kohl zur Meeräsche serviert.