„Abfall” ist angesagt. Was Winzer in den Reben abschneiden, besser gesagt ausdünnen, bleibt oft unbeachtet auf dem Boden liegen: unreife Trauben. Daraus entsteht mehr und mehr ein herrlich frischer Saft zum Säuern, milder als Essig und oftmals so teuer wie eine Flasche Wein. Die Rede ist vom “Maggi des Mittelalters”, von Verjus, “vert jus”, grüner Saft, Grünsaft oder auch Agrest genannt.
Autor Oliver Zelt, Foto ©foodhunter
Das Mahl im „Parzival“-Epos war üppig. Am Hof des Gralskönigs Anfortas tafelten die Hohen Herren. „In kleine goldene Schüsseln tat man, wie es zu jeder Speise geziemte, Salzbrühen, Pfefferbrühe und Agrest. Da hatten sowohl der Bescheidene als auch der Vielfraß alle gleich reichlich“, schrieb 1392 Wolfram von Eschenbach.
Nun ist nicht immer alles von früher so toll, dass Köche froh sein müssen, es wieder entdeckt zu haben. Aber der Agrest in der puren Variante ist eines Revivals wert. Es ist der Saft der ausgegeizten Trauben, der zu Eschenbachs Zeiten zum Haltbarmachen noch mit Honig und Salz eingekocht wurde. Die entstandene braue Sauce wird heute schon mal als „Maggi des Mittelalters“ bezeichnet, weil es eigentlich kein Gericht gab, das nicht ein paar Tropfen Agrest abbekam.
Wenn die Winzer in ihre Weinberge gehen, um die Reben auszudünnen, lassen viele die abgeschnittenen Trauben nicht liegen, sondern pressen aus ihnen „Verjus“. Dafür verwendet man ausschließlich Trauben des Sommers, die noch sehr grün sind und wenig Zucker eingelagert haben. Entsprechend gering ist auch die Saftmenge.
Der Verjus ist der Urvariante des mittelalterlichen Würzmostes
Im französischen heißt „vertjus“ Grünsaft und so sieht er auch aus und schmeckt genauso. Die unreifen grünen Trauben geben angenehme Säure ohne dass der Magen sauer wird. FOODHUNER-TIPP: Einen Schuss Verjus ins Mineralwasser (sehr erfrischend!!) oder auch mal heißen Verjus statt heißer Zitrone, wenn’s im Herbst im hals kratzt.
Wie bei der Weinlese entscheiden großartiges Wetter und der richtige Zeitpunkt über die Qualität. Keinesfalls zu früh, nicht zu spät. Ein Schuss mehr Süße in den Trauben macht den Verjus zu einem genialen Begleiter für spritzige Mixgetränke. Für die feine Küche dürfen es nicht ganz so viel Zucker und damit ein paar Tage weniger an der Rebe sein.
Verjus ist ein Universalgenie: milder als Zitrone, nicht so sauer wie Essig. Perfekt zum Marinieren
Verjus ist milder als Zitrone und nicht so herb wie Essig. Ideal, um ihn ohne viel Tamtam als komplette Vinaigrette pur über den Sommersalat zu tröpfeln. Dann fehlen lediglich ein paar Brösel Meersalz. Der grüne Unvergorene ist ein Universalgenie. Ein Spritzer in Linsen und Sauerkraut lässt den unverzichtbaren Essig vergessen. Verjus mariniert Fisch und Fleisch, gibt Bratenfonds einen besonderen Pfiff und dem schlichten Obstsalat einen Schluck Eleganz. In der Spitzenküche aromatisiert Zweisterne-Mann Nils Henkel seinen Rote Bete-Saft mit Zweigelt-Verjus und Langpfeffer. Joachim Wissler, 3-Sternekoch, serviert seine Bachforelle mit Verjus de Périgord und kleinen Pfifferlinge.