Es krümelt und bröselt, selten geht es um Mehl sondern um die gerade geernteten frischen Körner. Mit denen lässt sich alles machen, was sich Spitzenköche für ihre Gourmetlandschaften wünschen. In der Pfanne geröstet schnurpseln sie, gedämpft entfalten sie das volle Getreidearoma, als Keim bringen sie Frische. Variationen jenseits von Müsli und Mehrkornbrötchen. Foodhunter Oliver Zelt hat bei Nils Henkel, Michael Kempf, Sonja Frühsammer, Tony Hohlfeld und Robert Stolz eine hochkreative Körner-Küche entdeckt.
Autor Oliver Zelt
Nils Henkel serviert Kulturgeschichte, sortiert Einkorn, Emmer, Ebliweizen und Grünkern. Die Guten kommen ins Töpfchen. Gerade die alten Sorten „sind wertvoll und spannend“, sagt er. Nur wenige Enthusiasten würden das Getreide noch anbauen. Erhalten durch aufessen, Henkel kann diesem Motto viel abgewinnen. Er kennt seine Lieferanten. Die Drax-Mühle im bayerischen Rechtmehring und der Meierhof im österreichischen Waldviertel schicken ihm beste Körner.
Henkel verwandelt sie in ein Gemälde aus Getreide. Dann liegen in einer anthrazitfarbenen Schale ein lauwarmer Salat von Einkorn, Emmer, Ebliweizen und Grünkern, gebackene knusprige Getreidekrapfen, Kefir mit Fichtennadelsirup und Honig, eingemachter weißer Pfirsich, gepoppte Weizenkörner, Fichtennadel-Kefirbaiser abgerundet mit einer Vinaigrette von Fichtennadelsirup, Fichtennadelessig und Fichtennadelöl. Das ist tatsächlich ein Oberknaller. Das kann jeden Vegetarier neidisch machen.
Henkel mag die „erdigen Akzente des Getreides“, frittiert gerne kleine Bällchen, ähnlich wie Falafel und kombiniert Königskrabbe, Grünkohl und Getreide. Neulich hat er Gerstenmalz entdeckt, so etwas „wie der Energy-Drink des Mittelalters“, lacht er. Zur Entenleber eine interessante Ergänzung.
Asiatischer Getreidetee auf dem Roten Teppich
Michael Kempf aus dem Berliner Restaurant „Facil“ überrascht während der Berlinale mit einem asiatischen Getreidetee. Beim Kulinarischen Kino serviert er die vegetarische Suppe nach einem japanischen Film. Kempf röstet in einer Pfanne ohne Fett Gerste goldbraun an und lässt sie dann in einer Gemüsebrühe mit ungeschältem Ingwer auf niedrigster Stufe 15 min. ziehen. Als Einlage Petersilienwurzel, Shitake und Hokkaido-Kürbis.
Aal, Holunder, Bio-Buchweizen
In „Frühsammers Restaurant“ geht die Chefin selbst einkaufen. In ihrem Lieblingsbioladen nimmt Sonja Frühsammer Buchweizen. Daraus entsteht eine Kombination aus geräuchertem Aal, cremigem Ochsenmark, frischem Fenchel einer leicht süßlichen Holunderblüten-Vinaigrette und dem Bio-Buchweizen.
Frühsammer will ihre Gäste überraschen. Den Buchweizen kocht sie wie ein Risotto aber ohne Parmesan, lässt ihn wieder trocknen und frittiert ihn anschließend. Das sei dann „wie ein kleiner Knusper-Snack“. Vielleicht auch eine Idee für Zuhause, Getreide nicht mal nur als Brot zu essen. Neuerdings lässt die Berlinerin Einkorn solange keimen, bis kleine grüne Sprösslinge aus der Erde wachsen. „Eine herrliche Dekoration zum Huhn. Oder sie serviert zum rosa Lammrücken Gerste und Spinat und krönt die Beilagen mit einer Malzbiersauce.
Rollgerste, Hafer-Eis und grünes Weizengrasöl
Die „Ole Deele“ in Großburgwedel ist für ihre Idee bekannt. Tony Hohlfeld hat sich diesmal Rollgerste ausgesucht. Das sind flach geschliffene Gerstenkörner, auch als Graupen bekannt. Die trockenen Körner gibt er zusammen mit einem Fonds aus Weizen, Hafer, Milch und etwas Zwiebeln in einen Sahnesyphon und lässt sie zwei Tage ziehen. „Die gehen dann langsam wieder auf und entwickeln ihr Aroma noch einmal neu“.
Dazu gibt es karamellisierte Gerste und Buchweizen, dunkelgrünes Weizengrasöl und eine wunderbare Creme aus Hafer und Joghurt. Für den Raps geht die Restaurant-Crew aufs Bio-Feld. Die Köche wollen Blüten und Blätter, um die knallgelben Blüten zu kandieren und aus den Blättern einen Fonds zu ziehen, fast so grün wie das Weizengrasöl.
Tony Hohlfeld liebt es, wenn seine Gerichte „schmecken, als wenn man am Feld riecht“. Wer ein Hafer-Eis isst, sei meist verblüfft, wie toll das schmeckt. Überhaupt ist der Hafer eine Power-Pflanze, nicht nur wegen der vielen Proteine.
Für eine besondere kulinarische Spielerei hat Hohlfeld frischen Waldmeister gepflückt, getrocknet und ihn in flüssigem Joghurt ausziehen lassen. Die Milchmasse mit dem Waldmeister-Aroma stellt er in kleine Würfelformen, legte einen Faden hinein und packt alles ins Gefrierfach. Dann röstet er Hafer und lässt das warme Getreide in Butter aus. Den geeisten Joghurt zieht der Koch am Faden durch die Haferbutter, damit sie die kalte Waldmeisterf-Füssigkeit wie eine Praline umhüllt. Bei Zimmertemperatur ist die Süßspeise außen hart und innen flüssig.
Amaranth statt Nutella
Wer die „Ole Deele“ nach dem Essen verlässt bekommt Geschenke. Eine Tüte hausgemachtes Müsli etwa, mit Hafer, Weizenkleie und getrockneten Früchten. Oder ein Töpfchen Schokocreme. „Das erinnert an Nutella, schmeckt nur feiner“, freut sich Hohlfeld. Dafür lässt er Amaranth-Körner aufpuffen und bräunt sie in der Pfanne zusammen mit Zucker. Es kommen Milch, Butter, ein leichtes Haferöl und Kuvertüre hinzu. Pürieren, passieren, fertig.
Auferstanden: Waldstaudenkorn und Berglinse
Robert Stolz vom „Restaurant Stolz“ könnte sich neben seinem Michelin-Stern einen Trend-Scout-Orden für regionalen Kücheninnovationen anheften. Auf dem platten norddeutschen Land in Plön sucht er nach alten, seltenen Sorten, um ähnlich wie Nils Henkel, Landschaft und Landwirtschaft zu erhalten. Stolz ist erstaunlich eisern. Demnächst sollen Waldstaudenkorn, Schwarzer Hafer und Berglinse seine Speisekarte zieren. Die Getreidemischung für die Gourmets wird immer bunter. Im Restaurant von Robert Stolz dann mit dem wilden Roggen, dem Hafer mit wenig Gluten und der rot-braunen klitzekleinen Linse.