DAS PUSTERTAL

Es liegt wie ein großer grüner Graben zwischen Alpenhauptkamm
und Dolomiten und entspricht recht genau 28 % der Fläche von Südtirol.
Den Beinamen „grünes Tal“ bekam es wegen des dichten Waldbestandes.
Es muss sich auch die Bezeichnung „Sibiriens Südtirols“ gefallen lassen.
Die Einheimischen erklären augenzwinkernd: „Vier Monate Winter,
acht Monate kalt.“ Dafür wärmen die Aussichten auf feinste
gastronomische Erlebnissen jeden, der sich jetzt dorthin aufmacht.

Autor Karin Lochner, Fotos Peter von Felbert

Sehnsuchstort meiner Kindheit

Bergbauernhöfe, Sternehotels und

Der Sehnsuchtsort meiner Kindheit ist das Südtiroler Pustertal. Im Sommer, im Winter, immer wieder kamen wir zum Glinzhof, einem Bergbauernhof oberhalb von Innichen. Zur Begrüßung gab es für den Vater einen Schnaps und die Mutter seufzte wohlig, wenn sie auf das Tal schaute und auf die gegenüber liegenden Berge.

Unter dem Bauerngärtchen lagen tief hangabwärts die Wiesen und Felder, so steil, dass sie von oben nicht mehr zu sehen waren und die zentnerschweren Heuballen am Drahtseil aus dem Nichts zu schweben schienen.

Der Glinzhof stand schon, als Columbus noch in den Windeln lag. Das Holz von Haus, Stadel und Stall war von der Sonne in Hundert und Aberhundert Jahren fast schwarz gebrannt.

Im Hausflur duftete es sommers wie winters nach Äpfeln, in den Schlafzimmern nach Heu. In der Küche staunte ich über die eisernen Pfannen, groß wie Wagenräder, nur zweihändig zu stemmen, die runden Brotfladen, jedes Vierteljahr frisch gebacken, und dann so hart geworden, dass ein Hammer nötig war, um sie für die Knödel zu zertrümmern, die schwere Nudelpresse, den hüfthohen Mohnstampfer, das hölzerne Butterfass.

Ferien im Pustertal waren Unsummen kleiner, kulinarischer Freuden, die die Tage durchsetzten wie Rosinen einen duftenden Kuchen. Wenn es abends Kaiserschmarrn geben sollte, war mein Kinderglück perfekt. In Südtirol, fiel mir als Kind auf, sprechen sich alle mit Vornamen und „du“ an. Bei der Abreise stellte die Bäuerin zufrieden fest, dass ich ordentlich zugenommen hatte. Das ist lange her. Höchste Zeit, dass ich mich aufmache, um zu entdecken, was aus dem Pustertal geworden ist und ob alles so köstlich schmeckt wie früher.

Eggerhöfe

Lebenstraum von Christian und Marlies

Erste Station sind die Eggerhöfe, oberhalb des Ortszentrums von Antholz Mittertal, an einem sonnigen Südhang unterhalb der mächtigen Riesenferner Berge. Der Ausblick über das Tal bis zu den schneebedeckten Dolomiten ist überwältigend. Schon auf der Sonnenterrasse riecht es nach frisch gebackenem Brot.

Bauer und Langlauflehrer Christian Leitgeb baute neben dem alten Hof ein modernes Nebengebäude, Apartments, schmucklos, geradlinig, schlicht für Gäste. Der Holzbau mit dem ersten Flachdach des Dorfes wurde feinfühlig in die bestehende Hofgruppe integriert. Für Marlies und Christian Leitgeb, die ehemaligen Senner von der Grentenalm, erfüllte sich mit der Übernahme der Eggerhöfe ein Lebenstraum. Der Bergbauernhof ist trotz des modernen architektonischen Akzents wie aus dem Bilderbuch.

Christian züchtet das Vieh, Marlies steht am Herd. Zwei Schweine grunzen um die Wette und stecken ihre Rüssel durch die Stäbe, gegenüber gackern Hühner und drei Milchkühe gibt es auch. Denn Christian macht die Butter selbst und stellt nach altem Rezept Graukäse her. Er wird ohne Lab gekäst und hat einen besonders niedrigen Fettgehalt. Im Käsekeller lagern riesige Laibe davon. Von der Decke baumelt Speck von den eigenen Schweinen.

Die Leitgebs servieren ihren Gästen typische Gerichte aus der Bauernküche des Tales, Schlutzkrapfen mit Brennesselfüllung, Knödel, Greaschtl, Röstkartoffel mit Speck und Ei. Christian ist zu Recht stolz auf sein Selbstgeräuchertes und die hofeigenen Produkte, die Marlies zu delikaten Antipasti verarbeitet. Heute wird der Graukäse mit dem frisch gebackenen Roggenbrot, rohen Zwiebeln, Olivenöl und Essig serviert.

Graukaese, Peter von Felbert, foodhunter

Bergauf, bergab

Genuss quer durchs Pustertal

Willkommen im Santes Hotel

Angetan vom opulenten Bauernschmaus und der liebenswürdigen Gastfreundschaft des Wirtspaares, kurve ich gemächlich talabwärts, bleibe im Dorf Antholz und quartiere mich ein paar Tage im Santes Hotel Wegerhof ein. Seit vielen Jahren wird die Küche im Guide Michelin empfohlen..

Die geschmorte Entenkeule in Rotwein, der Thunfisch auf Zitronenpolenta oder der Zwiebelkuchen in Weißweinschaum sind großartige Kompositionen.  Das Hotel ist voll, die Stammgäste schätzen die Kochkünste und man freut sich bereits beim reichhaltigen Frühstücksbuffet auf das 5-Gang-Menue, das einen am Abend erwartet.

Dass es problemlos für auswärtige Gäste möglich ist, im Santes Hotel à la carte zu essen, sei hier ausdrücklich erwähnt.

Pustertal, foodhunter

Brennerei „Bergila“ und die Mondphase

Der Gürtel spannt, die Hosen werden eng. Dringend notwendig ist ein Verdauungsschnaps. Wacholder-,  klassischer Enzianschnaps. Latschen-, Zirbelkieferschnaps. Das Ehepaar Niederkofler, Inhaber des Santes Hotel, verwöhnt mich mit derartigem und klären mich auf: alles stammt von der  Brennerei „Bergila“ aus dem nahegelegenen Pfalzen.

Am nächsten Tag besichtige ich Brennerei,  850 m Höhe, mitten im Wald, Familienbetrieb seit 1912.. Es riecht betörend nach Latschenkiefer und Zirbel. Verwendet wird nur Rohmaterial aus dem Wildwuchs hochalpiner Lagen, kleine Äste der Zirbelkiefer, Fichte und Föhre, unter Aufsicht der Forstbehörde aus dem Wald herausgeschnitten.

Daraus gewinnt Familie Niederkofler (nicht verwandt mit den Niederkoflers des Santes Hotels) die milden Schnäpse und aromatischen Liköre. Mehr als 40 Heilkräuter wie Thymian, Lavendel und Pfefferminze kommen aus ihrem kontrolliert biologischen Anbau.

Für die Liköre wird als Ausgangsmaterial kein Industriealkohol verwendet, sondern feinster Biograppa. Alle Arbeitsschritte erfolgen manuell. Neben der fast 100-jährigen Erfahrung trägt auch die Berücksichtigung der Mondphasen dazu bei, dass die Produkte als erstklassige Geheimtipps gelten.

Alles vom Hof – Saalerwirt

Auch meine nächste Station ist ein Geheimtipp. Der Saalerwirt auf 980 m Meereshöhe. Früher führte der Weg ins Gadertal bei Maria Saalen vorbei. „Heute muss man von uns gehört haben, um uns zu finden,“ sagt mir Besitzer Johann Tauber über sein Elternhaus.

Die enge Straße schlängelt sich durch die Hügel. Schließlich winkt das rosa Zwiebeltürmchen der Kirche im denkmalgeschützen San Lorenzen. Paradiesische Ruhe schwebt über dem Ensemble aus Wallfahrtskirche, Pilgerwirtshaus und Teich.

Über die Jahrhunderte zogen fromme Pilger hierher, im Gasthaus nebenan suchten sie die leibliche Stärkung. Die holzgetäfelte Gaststube aus dem Jahr 1730 steht unter Denkmalschutz. Im Bauernofen bullert eine wohlige Holzwärme.

Es war die Urgroßmutter von Johann Tauber, die im Jahre 1882 das Gasthaus kaufte. Die ganze Familie arbeitet heute noch mit. Vater Johann als Küchenchef, Mutter Berta, die vier Töchter und Sohn  Gabriel.

Im nahegelegenen Bauernhof der Familie gibt es Schafe, Hennen und die arbeitsaufwendige Mutterkuhhaltung. Stolz sind auf die „ehrliche Küche“, es gibt nichts Gefrorenes, alle Teigwaren sind hausgemacht, das Fleisch vom eigenem Hof und die Gerichte den Jahreszeiten entsprechend.

Restaurant Schöneck

Quereinsteiger holt Sterne

Wie ein kleines Kind auf Weihnachten, freue ich mich auf meinen Besuch im Schöneck. Kaum ein Gastronomieführer in dem das Sternelokal nicht glänzend abschneidet. In jedem in- und ausländischen Führer stößt man auf begeisterte Kommentare und Kritiken, Feinschmecker, Gault Millau, Michelin, Gambero rosso, um nur einige zu nennen. Und dabei ist der Küchenchef Karl Baumgartner gar kein gelernter Koch, sondern Quereinsteiger und Autodidakt.

Pustertal, Restaurant Schoeneck, foodhunter

Die Erfolgsgeschichte beginnt wie ein Märchen. Drei junge Brüder aus bescheidenen Verhältnissen verdienen sich in einem Hotel in der Nachbarschaft ein paar Lire und beschließen, ein eigenes Restaurant zu eröffnen.

Ohne Erfahrung, ohne Ausbildung. Karl zu dem Zeitpunkt 20 Jahre alt und der jüngste Bruder, Hansi, werkeln in der Küche und „öffnen den Südtirolern die mediterrane Tür“. Bruder Siegi übernimmt mit seinen 19 Jahren den Service und widmet sich der Weinkunde. Bald von Mary, Karls Frau, verstärkt.

 

Die innovativen Ideen und die jugendliche Leichtigkeit gefallen. Noch heute, nach so vielen Jahren und dem Umzug nach Mühlen, zieht Familie Baumgartner wie ein Magnet die Gäste in ihr Haus, das sich wie ein Adlerhorst an den Hang schmiegt. Wie soll ich Karls Küche beschreiben? Moderne regionale Interpretationen, die sich die Frische und Leichtigkeit der italienischen Küche einverleiben. Schon bei der Vorspeise wird mir klar, dass Karl das Wesen der Produkte versteht. Es gibt Taubenbrustscheiben am Holzkohlengrill rosa gebraten auf süß-sauren roten Zwiebeln mit Fichtenhonig, gereiftem Balsamicoessig und hausgeräucherter Gänseleber.

Auch beim Hauptgericht zeigt Karl seine Handschrift. Unprätentiös verbindet er wenige Zutaten auf dem Teller. Diese Allianz ist voller Dynamik und doch filigran, eine beeindruckende Mischung aus Zartheit und Kraft. Ich komme in den Genuss eines Hirschrückensteaks, mit Walnüssen gratiniert, und Bohnen im Steintopf geschmort mit Polenta und Speckkrautsalat. Noch beim Schreiben läuft mir von der Erinnerung das Wasser im Munde zusammen.

Pustertal, Restaurant Schoeneck, foodhunter

Ein Restaurant namens Tilia

Mittlelpunkt des Gand Hotels Toblach

In Toblach im Hochpustertal  verbrachte Gustav Mahler seine Sommerfrische, hier kam Chris Oberhammer zur Welt. Und alle, die gerne gut essen, werden früher oder später im „Tilia“ ankommen und reservieren. Das muss man auch. Denn es gibt nur fünf Tische. Chris Oberhammers neues Lokal, eröffnet 2010, ist ein moderner Glaskubus im Park des ehemaligen Grand Hotels Toblach.

Das gewaltige historische Luxushotel im Hintergrund hatte vor mehr als hundert Jahren mit illustren Gästen wie Gustav Mahler seine besten Zeiten. Bei Chris scheint dies nun mit dem Tilia der Fall zu sein. Er ist wieder zurückgekehrt an den Ort, von dem er einst auszog, um sich durch die besten Adressen der Gastronomie von Belgien über Frankreich bis Monte Carlo zu kochen. Dort war er bei Alain Ducasse, im kulinarischen Olymp.

Nicht jeder Koch sehnt sich nach Sternen

Meine Schritte versinken in weichen, braunen Teppichen, die alle Geräusche dämpfen. Aus den Boxen schmettert ein Sopran eine melancholische Ballade. Ich schaue mich um und bin verwirrt. Im Tilia, gibt es keine Weinkarte, nicht mal Tischdecken, alles ist entgegen dem Bild, das ich von einem Sternekoch habe. Ja, das will Chris so. Denn Sternekoch war er lange genug. 2001 eröffnete er sein erstes Tilia, in Obervintl, Er wurde gelobt, bepunktet, mit einem Stern dekoriert, der zweite war bereits angekündigt.

Aber ihm wurde klar, das ist alles zu wuchtig und eine enorme Belastung. Ein 15-köpfiges Team, jährlich allein € 40.000 Heizkosten, der Druck der Banken. Er „stieg aus dem Hamsterrad aus“ und wies sogar den zweiten Michelin Stern zurück. Jetzt macht er das, was er am liebsten macht. Er ist frei von betriebswirtschaftlichen Zwängen und steht am Herd, um zu „erneuern, verbessern und überraschen“. Das gelingt ihm am besten mit seinem 4-Gänge-Überraschungsmenue.  Es ist ein bisschen wie bei einem gutem Freund zum Essen eingeladen zu werden. Tilia heißt übrigens Linde. Der Baum gilt als Symbol der Bescheidenheit.

Pustertal, Restaurant Tilia, foodhunter

Pustertal,Restaurant Tilia, foodhunter

Pustertal,foodhunter.de (3)

Ansitz Goller

Das soll ein Wirtshaus sein? Niemals!

Rudy Leiter ist ein guter Freund von  Chris Oberhammer. Während Chris die Ausstrahlung eines Zen Mönchs verströmt, wuselt Rudy wie Duracell-Häschens durch seine Sieben-Tage-Woche im Kurhotel Bad Moos. Zumindest sind wir ihm dort das letzte Mal begegnet. 

Inzwischen ist er  heimgekehrt. Ins Elternhaus, Ansitz Goller in Niederrasen. Lange genug war er unterwegs – Dubai, Barcelona, New York, München …. Seine Kochkünste sind mit eingezogen ins 300-jährige Herrenhaus und dank der Passion für die traditionelle Wirtshausküche sind auf der Speisekarte auch viele seiner Lieblingsgerichte zu finden. Stets ist es heimisches Bio-Fleisch, Gemüse und Obst aus der Region, aromatische Bergkräuter aus dem Pustertal sowie die unnachahmlichen Käse aus Südtirol. Das Brot ist selbst gemacht, alles stammt aus biologischem Anbau Passioniert, puristisch, kreativ – kaum ein Gast der diese Stuben verlässt, ohne Rudy größtes Lob zu bescheinigen. „Das hier ist alles, aber wahrlich kein gewöhnliches Wirtshaus!“

Ansitz Goller, Pustertal

Lauter gute Adressen