Während die Maximilianstraße den Reichen vorbehalten ist, der Gärtnerplatz dem Szenevolk, die Neuhauser- und Kaufingerstraße zum Multikulti-Shopping lädt, vereint der Viktualienmarkt alle Schichten, Generationen und Geschmäcker. Wohl deshalb und nicht aufgrund der zentralen Lage trägt er zu Recht den Beinamen „das Herz Münchens“.
Autor Sabine Ruhland, Fotos ©Foodhunter
Am frühen Morgen ist er besonders schön, der Viktualienmarkt. Wenn die Standbesitzer noch Zeit für einen Ratsch untereinander haben, die Handwerker zum Frühstück eine Leberkässemmel verdrücken während nebenan ein bekannter Sternekoch bei den Trüffeln seine Wahl trifft. Wenn die alte Dame aus der Nachbarschaft ihre Semmel holt und die Business-Lady vor dem Arbeitstag an einem frisch gepressten Saft nippt. Es duftet nach einem Sammelsurium aus Käse und Obst, Pilzen und Kräutern und wirft dazu die Sonne ihr warmes Licht auf die Türmchenkulisse rundherum und lässt die bunten Markisen und Früchte noch bunter erscheinen, könnte man jauchzen vor Freude – selbst als Städter und immer wieder aufs Neue.
Dass dieses Gefühl allen Münchnern zu eigen ist, gestand selbst der ehemalige OB Christian Ude ein, der jedes freie Viertelstündchen nutzt, um über den Viktualienmarkt zu bummeln. „Das Abtauchen in den Markt und seine Gerüche ist für mich wie ein Urlaubstag.“ Auch Gabriele und Hermann Klein konnten sich nie dem Charme dieses Marktes entziehen, den sie 20 Jahre lang täglich besucht haben, um ihre Einkäufe zu tätigen.„Immer wieder haben wir uns gewünscht, selbst einen Stand zu haben.“ Jetzt haben sie einen, seit einigen Jahren gehört Ihnen das Wald- und Wiesen-Standl, an dem Gabriele Klein ihre selbst gebundenen kleinen Kränze und Palmherzen verkauft und sich über den häufigen Besuch ihres Mannes freut, der eigentlich beim Film arbeitet, aber in drehfreien Zeiten nur einen Platz in München kennt, an dem er sein mag, den Viktualienmarkt.
„Ich hätte gerne zwei Zwiebeln.“ „Bei uns gibt’s nur Pfund oder Kilo.“
Die Zeiten, in denen die Marktleute vom Viktualienmarkt a bisserl garstiger sein konnten als anderswo sind längst vorbei. Das bestätigt auch Petra Hahn, die ihren Stand vom Vater übernommen hat und seit 17 Jahren fast täglich mit ihrem Mann am Viktualienmarkt ist, weil es anders gar nicht möglich wäre bei einer 65-Stunden-Woche. „Höflichkeit ist heute äußerst wichtig, bayerische Ruppigkeit hat auch auf dem Viktualienmarkt nichts mehr verloren.“
Wer Glück hat, kann allerdings hier und da noch Wortfetzen aufschnappen, die herrlich typisch für den Viktualienmarkt sind. Dann, wenn die notorisch-nörglerische Kundschaft, die es immerhin auch gibt, keine Ruhe geben mag. Selbst dem gebürtigen Münchner Hermann Klein könnte da schon einmal der Kragen platzen. Doch statt einer deftigen Verbalattacke sagt er dann bloß: „Wissen’s was, jetzt schauns Eahner um und wenn’s koane scheenern Palmkranzerl finden, dann kemmans wieder.“ „Nix da, die nimm i jetzt scho. Oder wissen’s was – gems ma zwoa.“ (Übersetzung: „Wissen Sie was, jetzt schauen Sie sich erst einmal um und wenn Sie keine schöneren Palmkränze finden, dann kommen Sie wieder.“ „Nichts da, den Kranz nehme ich jetzt. Oder wissen Sie was – geben Sie mir zwei.“)
Die Qualität ist und bleibt eine gute, denn die Konkurrenz in Form von Supermärkten und Feinkostgeschäften ist groß. „Wir müssen uns einfach abheben“, sagt Marktfrau Petra Hahn, die aus dem einstigen, überwiegend auf Kartoffeln spezialisierten Stand einen der größten Stände für Obst und Gemüse hat werden lassen. Münchner Gärtnersalate, frisch vor den Toren der Stadt geerntet, exotisches Gemüse wie Zitronengras, Chili, Kurkuma und nach wie vor viele Sorten Kartoffeln und Tomaten.
„Schlechte Ware können wir uns am allerwenigsten leisten, denn auch wenn jeder meint, der Viktualienmarkt liefe von selbst – die Touristen kaufen nur selten, die schauen lieber.“
„Zehn Kartoffelsorten und mehr als zwölf Sorten Tomaten, damit heben wir uns deutlich von Supermärkten ab.“ Umso mehr nervt es sie, wenn sie im Sommer immer wieder die gleiche Frage hört: Schmecken die Tomaten auch nach Tomaten? „Klar, sonst würde ich sie nicht anbieten. Schlechte Ware können wir uns am allerwenigsten leisten, denn auch wenn jeder meint, der Viktualienmarkt liefe von selbst – die Touristen kaufen nur selten, die schauen lieber. Wir sind natürlich auf das Münchner Stammpublikum angewiesen.“
Auch Hermann Klein erinnert sich: „Früher, da war der Markt billig, wer Geld hatte ging damals zum ersten Tengelmann der Stadt an den Gärtnerplatz. Heute hat der Markt den Ruf teuer zu sein, dabei entsprechen die Preise nur der besseren Qualität.“
22.000 qm, 129 Ständen und 72 Freischankflächen
So ist es, so bleibt es. „Natürlich haben wir viele Anfragen für Imbissstände, aber da ist die Grenze erreicht“, sagt Christine Hirschauer, Sprecherin der Interessengemeinschaft Viktualienmarkt. Angebote, die das Profil des Marktes unterstreichen, sind indessen sehr wohl gern gesehen. Verkostungen dürfen allerdings nicht angeboten werden – das ist generell auf dem Viktualienmarkt verboten – aber die Kunden kennen inzwischen die Qualität und nehmen das Angebot gerne an. Ebenso wie die Rezept- und Zubereitungsideen, die die Marktleut’ ihren Kunden dazugeben.
Petra Hahn liest mit Leidenschaft Kochbücher und Zeitschriften. „Zum einen muss ich wissen, was Trend ist und mich danach richten, zum anderen fragen Kunden automatisch, was wozu passt und wie es zubereitet wird. Außerdem ist Kochen meine persönliche Leidenschaft.“ Wie auch das Aufbauen und Dekorieren. Zwei Stunden Zeit kostet es jeden Tag, den Stand herzurichten, denn der soll ja auch immer etwas anders ausschauen. Was alle Standlbesitzer lieben, ist der Kontakt mit den Kunden. „30 Prozent unserer Kunden sind Stammkunden, die sich sogar abmelden, wenn sie in Urlaub fahren. Das ist das Besondere am Viktualienmarkt.“
Fast wäre der Viktualienmarkt einer Stadtautobahn zum Opfer gefallen
Es war der Bayern-König Max I., der 1807 beschloss, den immer größer werdenden Markt auf dem Marienplatz aufzuteilen. Ein Teil der Händler sollte sich auf dem Areal zwischen Heiliggeist-Kirche und Frauenstraße niederlassen. Die ersten Händler waren die vom Eier- und Kräutermarkt, die letzten die Fischhändler. 1831 bekamen auch die Metzger ihren endgültigen Standort zugewiesen und ließen sich am Fuße des Petersbergl nieder. Die Metzgerzeile mit den festen kleinen Läden und ihrer neugotischen Architektur wurde 1880 angelegt. Sie ist bis heute erhalten, obwohl Naturkatastrophen und Kriege den Markt beutelten.
Der größten Bedrohung musste sich der Viktualienmarkt allerdings in den 60er Jahren stellen, als man sich tatsächlich mit dem Gedanken trug, ihn zugunsten einer Münchner Stadtautobahn zu planieren. Überstanden und vergessen, heute ist der Münchner Viktualienmarkt kulturell und kulinarisch eine Institution, denn hier treffen sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und aus allen Teilen der Welt. Ob Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann beim Einkauf, Kabarettist und Schauspieler Andreas Giebel beim Genuss eines frisch gepressten Saftes oder gar königlicher Besuch wie der von Prinz Charles.