Die Cuisine Française ist die einzige Landesküche, die von der Unesco zum immateriellen Weltkulturerbe erhoben wurde. Begründung: Es handele sich um eine in Frankreich gebräuchliche Art, die „wichtigsten Momente im Leben zu feiern“.
Ein Ort, in dem genau das seit Jahrzehnten stattfindet, gewachsen und mit familiärem Leben gefüllt, ist die Auberge de l’Ill, die nach 51 Jahren erstmals mit zwei statt drei Sternen auskommen muss. Nie zuvor landeten mehr Briefe in der Guide Michelin Zentrale mit der Aufforderung die 3 Sterne bei Haeberlin zu belassen und diese Institution als solche zu retten. Das knappe Statement des 39-jährigen Guide Michelin-Chefs Gwendal Poullennec: „Sterne werden für ein Jahr und nicht fürs Leben vergeben.”
Autor Sabine Ruhland, Fotos ©foodhunter, Sabine Ruhland
Stimmt. Dennoch darf die Frage gestellt werden, ob angesichts ständig neuer Trends (die gar nicht so neu sind – man denke an das Thema Regionalität) ein Leben für beste Kochkunst, ein jahrzehntelanges Streben, den Gast glücklich zu machen, Konstanz in der Qualität, fundamentale Kenntnisse der Kochkunst, die als Basis aller Kochstile unabdingbar ist und vor allem eine unvergleichliche Gastfreundschaft in der Tat zweitrangig für den Gast sind. Denn der Gast ist es, für den Guide Michelin augenscheinlich das Beste will. Oder ist auch das Bestreben für den Gast/Leser nur das Beste zu wollen so überholt wie die Klassiker der Küche?
Fakt ist: Wer sich durch die Wirren des ”global playing” googelt, stößt schnell auf einen neuen Riesen: Guide Michelin, Bookatable, The Fork und Tripadvisor, vereint und vernetzt.
Eine riesige Krake, die unter dem Deckmantel der Qualitätsverbreitung agieren will – und das ausgerechnet einer Welt, in der Netzbetrug, Datenzugriffe, Fake News, gekaufte Kritiken und virtueller Werbewahnsinn ohnehin jeden anspruchsvollen User verunsichern. Wer über Guide Michelin reserviert, liefert nicht nur seine Daten an Thefork, sondern spült der Onlineplattform auch Geld in die Kassen, denn die Restaurants zahlen Vermittlungsgebühr.
Dass der Bibel der Kulinarik vielleicht langsam die Passion ausgeht vor lauter Marketing, erliest sich schnell. Immer wieder verwendete ”Textbausteine” prägen die Kritiken: „fein ausbalanciert”, ”geschmacksintensiv”, ”zeigen intelligente Kontraste”, ”alles ist toll ausbalanciert”, ”wichtig ist ihm die Verwendung von regionalen Produkten der Saison”, ”die Gerichte sind gut ausbalanciert” – gerade kurze Texte brauchen einen Inhalt, keine Plattitüden.
Ich hätte von Guide Michelin gerade in der heutigen Zeit die Ausweitung der inhaltlichen Professionalität erwartet, hätte erwartet, dass die Bewertungskriterien an eine Zeit anpasst werden, in der sich Esskultur vielschichtiger zeigt denn je und in der es selbstverständlich eine Anerkennung für ein kulinarisches Lebenswerk gibt, für Beständigkeit und Tradition.
Wir fahren nach Illhäusern. Der Schock über den Verlust des dritten Sterns scheint verdaut, wir treffen einen entspannten Marc Haeberlin. Seit Beendigung des Lockdown ist sein Haus ausgebucht, mittags und abends. „Die beste Auszeichnung für uns ist es doch, wenn das Restaurant voll ist”, sagt Marc Haeberlin. „Echte Werte, nachhaltiger Genuss, besondere Erlebnisse, das scheint vor allem seit Corona in den Fokus der Menschen gerückt zu sein.” Etwas Wehmut schwingt dennoch mit. „Es ist wie beim Fußball – spielen vor ausverkauftem Stadion, aber eben nicht in der Champions League.”
Über Guide Michelin schimpft er nicht, hält aber auch fest an den eigenen Traditionen, den Klassikern, die dieses Restaurant groß gemacht haben. „Zwei bis drei Gerichte meines Vaters werden immer die Speisekarte unseres Restaurants ergänzen.” In Paris sei er gewesen, habe persönlich mit dem Michelin Chef gesprochen, wollte mehr wissen über die Degradierung und der Besuch machte klar: Guide Michelin will sich verjüngen, jüngere Restaurants in den Fokus setzen mit neuen, modernen Menüs.
„Es gibt heute hochgelobte Restaurants, da bekommen Sie eine Tomate am Tisch tranchiert, gewürzt mit Fleur de Sel, Pfeffer, Öl. Die Gäste sollen diesem Gericht dann huldigen”, sagt Haeberlin und schüttelt verständnislos den Kopf. „Wir haben schon immer die heimischen Produzenten unterstützt, haben eigene Gemüse- und Kräutergärten und verwenden beste Produkte. Nur kommuniziert haben wir es nicht, es war und ist eine Selbstverständlichkeit für uns.”
In der Tat, liest man die Kritiken zur Sterne-Küche der Michelin-Tester, finden sich u.a. Sätze wie diese: „Er mag es naturnah, saisonal und regional, nachhaltig erzeugte Lebensmittel haben bei ihm einen hohen Stellenwert. Auch Eingemachtes aus der Jahreszeit zuvor kommt zum Einsatz. Er verwendet nur hochwertige Produkte, aus denen er geschickt die natürlichen Aromen herausarbeitet und so Gerichte voller geschmacklicher Balance und Intensität schafft.” – Ich überlasse es dem geneigten Feinschmecker, sich aus derart rhetorischer Feinsensorik seinen Reim zu bilden.
Zur höchsten Sterneküche gehört für viele Genießer nicht nur ein Bestreben, sondern auch Seele.
„Wenn ich über die Brücke fahre, die verwunschene Auberge de l’Ill sehe, bekomme ich jedes Mal Gänsehaut”, erzählt uns ein Stammgast. Zweimal im Jahr kommen er und seine Frau aus Hannover ins Elsass, um bei Haeberlin zu speisen. Die Auberge de l’Ill ist ein Gesamtkunstwerk aus Eleganz, Design und elsässischer Gelassenheit, ganz dem Rhythmus der sanft fließenden Ill angepasst. Designer Patrick Jouin, der auch Plaza Athénée von Alain Ducasse in Paris ausstattete, erschuf verschiedene kreative Räume. Entsprechend vielseitig die Gäste: Großfamilien, verliebte Paare, erfahrene Feinschmecker, luxusorientierte Damen und gediegene Herren und jene, die für einen Abend lange gespart haben – Haeberlin macht keinen gesellschaftlichen Unterschied, ganz Franzose begrüßt und plaudert er mit allen Gästen, signiert kleine Kochmützen für Kinder, freut sich über junge Gäste, die das ”Formule Jeunes” Angebot nutzen (110 Euro für das Mittagsmenü inkl. Getränke). Bei Haeberlin geht man auf einen Aperitif in den Garten, plaudert im ochsenblutroten Entree mit der Familie, fühlt sich sofort zu Hause und nicht „linkisch zuvorkommend” platziert am reservierten Tisch. Das alles ist keine 3-Sterne-Kulisse, das ist gelebtes Weltkulturerbe.
Die Küche der Auberge de l’Ill setzt keine neuen Meilensteine. Muss sie auch nicht. Viele andere 3-Sterne-Restaurants haben ebenfalls längst ihre Klassiker.
„The legend lives on” resümierte Guide Michelin über das 2-Sterne-Restaurant Auberge de l’Ill.Ob sich das auch langfristig über den Guide Michelin sagen lässt, bleibt abzuwarten.