von foodhunter
Kategorie: Esskultur / Restaurants

Bayern, Bier und die ‚heilige‘ Brezn

Bayern, Bier und die ‚heilige‘ Brezn
Breze, Brezn, Brezel

Die Brezn, historisches Backwerk, durch das dreimal die Sonne scheint. 2014 hat die Europäische Kommission das Laugengebäck, dessen Teigstränge zwei zum Gebet verschränkte Arme symbolisieren (lat.bracchium= Arm, althochdeutsch brezitella) mit inzwischen 1100 Lebensmitteln wie Schrobenhausener Spargel, Nürnberger Bratwurst, Bayerisches Bier, zur geschützten geographischen Angabe erhoben.

 

Autor Rudolf Danner,
Fotos ©foodhunter

 

Ein Gütesiegel, das weltweite Nachahmung ausschließt, zumal sich die kleine Weltenbummlerin inzwischen überall verspeisen lässt und auch dank Oswald Piller aus Karlsfeld, dem Breznpräsident und Breznschlingmaschinen Entwickler – einer von sechs Zulieferern und einziger Bäcker, der hinter dem Augustinerzelt direkt auf der Wiesen bis zu 400 Stück pro Stunde backen lässt – sogar in Las Vegas zur Attraktion geworden ist.

 

Auf Drängen des Bundesjustizministeriums sind weitere Namen und Schreibweisen aus markenrechtlichen Gründen ebenfalls geschützt worden: Bayerische Brezn, Brezen, Brezel und Brezn.

 

Fast zu viel der Ehre für eine ehemalige Fastenspeise und Brotzeitfavoritin. Doch seit dem aktuellen Aufsehen erregenden Fund 2015 am Donaumarkt in Regensburg hat die traditionelle Weißwurst- und Bierbegleiterin mit Hilfe der Radiocarbonmethode einen Nachweis ihrer fast 300 Jahre langen, bayerischen Geschichte erhalten. Vermutlich einem Bäckermalheur ist das Auffinden der verkohlten organischen Fundstücke (Semmeln, Kipferl und Brezn) zu verdanken. Unbrauchbar weil verbrannt und weggeworfen überdauerten die Backwaren Jahrhunderte.

 

Der Legende nach soll einst einem zum Tode verurteilten Bäcker die Begnadigung in Aussicht gestellt worden sein, wenn er ein Backwerk herstellt, durch das dreimal die Sonne scheint.

 

Dass die Hinrichtungsstätte nebst Galgen in Regensburg gleich neben der Brezn gefunden wurde ist purer Zufall. Was allerdings Form, Größe, Aussehen und Konsistenz der beliebten Fastenspeise anbelangt bleibt in der EU nichts mehr dem Zufall überlassen: „ Idealerweise hat der in sich symmetrisch verschlungene Teigstrang der Laugenbrezel außen eine knusprig-ledrige Salzkruste und innen einen weichen Hefeteigkörper, ist am sanft geschwollenen Bauch etwas aufgesprungen und saftig, in den dünnen Teigarmen kross, aber nicht trocken.

Die übliche Größe beträgt etwa 15 cm im Durchmesser des Gebäckteiles, bei einem Durchmesser des Teigstranges von knapp einem bis vier Zentimeter“. Idealerweise!? Aber wenigstens muss eine Produktionsstufe in Bayern durchlaufen werden, um das begehrte Gütesiegel zu bekommen. Doch „die Bayrische Brezn erkennt man am Geschmack“ meint der Europa Politiker Markus Ferber, aber gerade da scheiden sich die Geister: Teig-, Laugengeschmack, Salzmenge und -verteilung, Konsistenz, Anteil des weichen Bogens und der knusprigen Verstrebungen, Bräunungsgrad und vor allem Frische sind entscheidende Faktoren. Die Verwendungszwecke: Butterbrezn, Breznsuppn, Breznknödel, Breznsalat, sogar Bratwurstbrezn oder einfach eine resche Brezn zur Brotzeit bedingen wieder eigene Kriterien.

 

Eine falsche Teigmischung oder zu langes Verweilen im Laugenbad und/oder die unerwünschte Liaison mit Aluminium sind Geschmack und Gesundheit wenig zuträglich. Die Brezn wird vor dem Backen für wenige Sekunden in 3–5 %ige Natronlauge (E 524), (pH-Wert 13–14) getaucht.

 

Beim Backen reagiert das Natriumhydroxid durch die Wärmeeinwirkung mit dem Teig an der Oberfläche des Gebäcks. Die Hydrolyse, d.h. Zersetzung von Proteinen im Teig beschleunigt und fördert die Maillard-Reaktion (Bräunungsreaktion). Die Brezn erhält dadurch die für Laugengebäck typische braune Färbung und den speziellen Geschmack. Hefe, Mehl, Schmalz, Salz und Malz sind die klassischen Teigzutaten. Die Hofbräu Kornmühle in München stellt extra für die Brezn ein hochqualitatives speziell für die Wiesenbrezn geeignetes Weizenmehl her.

Daneben sind Rezeptur, Frische, Backvorgang, Lagerung und auch der optimale Ofen für Qualität letztlich ausschlaggebend. So lässt der „Breznsepp“ von der Bäckerei Gattinger seit 20 Jahren seine täglichen 1500 Wiesenbrezn beim Backen auf Schamotteplatten Form, Konsistenz und Geschmack entfalten.

Und wenn der Breznschlinger beim „Breznwurf“ den Dreh zum doppelten Knoten raus hatte, Belaugung und Backvorgang sorgfältig ausgeführt, die neurotoxische Wirkung durch die Verwendung von beschichteten Backblechen, die die Kontamination von Aluminium und Natronlauge verhindern, ausgeschlossen und das grobkörnige Breznsalz in Qualität und Maßen vom Breznsalzer gleichmäßig gestreut und nicht geballt aufgetragen wurde, steht dem kulinarischen Kulturgenuss ‚Made in Bavaria‘ nichts mehr im Wege.

Sollte die Brezn nicht innen wattig und außen resch, sondern teigig mampfig, feucht und lätschert sein, hilft nur noch ein „sauberer Zug“ Bier, um die Brezn zügig in den Verdauungstrakt zu befördern.

Das ehemals heilige Gebäck, seit dem Mittelalter buchstäblich Aushängeschild der Bäckerzunft und Vorzeigebackwerk ist leider oft zum lieblos gefertigten Massenprodukt geworden. Biobrezn und die seltenen klassischen Bäckerbrezn- gebacken, nicht aufgebacken- garantieren zwar in der Regel bessere Teigqualität, doch den entscheidenden Faktor Frische und Geschmack leider nicht.

Auch die im Augsburger Raum angesiedelte Landbäckerei mit über 250 zu beliefernden Cafes in Stadt und Land oder die auf der Wiesn präsenten Münchner Großbäckereien können ihre allzeit frischen Werbeversprechungen nur sehr selten einlösen. Das patentierte Vakuumverfahren, das einen Wassernebel an den Teig führt, die Krustenbildung fördert, den Teig innen saftig hält und die Brezn in einen „Glaszustand“ versetzt, scheint noch nicht ausgereift.

Der Discounter Backautomat, der angeblich auf Knopfdruck immer frische Brezn auswirft, taugt seit Jahren mehr als Streitobjekt vor dem Duisburger Landgericht, denn die 15.000 Bäckereien im Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks sehen ihren traditionellen Herstellungsvorgang: Kneten-Gären-Backen in Gefahr.

 

 Zum Fastfood Burger aufgebrezelt.

 

Auch die mehrmals täglich je nach Bedarf mit 200 Grad aus dem Gefrierschlaf erweckten Brezn mischen sich ungeniert mit ihren Vor-Vorgängern oder zeigen oft die Handschrift eines respektlosen und unfähigen Mitarbeiters beim Aufbacken. Mit Butter beschmiert, mit Schinken belegt, mit Käse bestückt oder allerlei Gemüse und Salat bedeckt wird das Original zum Fastfood Burger oder Sandwich aufgebrezelt, so dass der berühmte kurze Biss -die Krume sollte wenig Widerstand leisten – eher eine Mampf-Attacke mit Pflanzenfresser Kauwerkzeugen als die Schneidezähne des menschlichen Fleisch-bzw. Allesfresser Gebisses erfordert.

Nicht nur der Christkindlmarkt Besucher kennt und liebt die Nürnberger Bratwürstla im Weckla, doch nun hat die kleine Bratwurst mit dem Gütesiegel im Bauch der Brezn sogar eine zweite Liegestatt gefunden: Die Bratworschtbrezn wurde vom Bio Bäcker Herbert Imhof geschwängert und geboren. Der fränkische Brezensalzer wird zum Sesamstreuer und mancher Purist wünschte sich anstelle der symbolisch zum Gebet verschränkten Breznarme sollten sich Dürers Hände zur Breznabbitte falten. Allerdings eine wenig zielführend Handhaltung während der Einfahrt in Kolbs Nürnberger Brezen-Drive-Inn.

 

Quo vadis brezitella?

 

Aber auch in der Breznhochburg München, wo der historische Breznreiter samt Breze sogar auf dem Deckenfresko der Heilig-Geist Kirche neben dem Viktualienmarkt verewigt ist, wird in altehrwürdigen Wirtschaften Brezencarpaccio mit Balsamico angeboten, schließlich muss der Beiname “Italiens nördlichste Stadt“ auch foodmäßig gerechtfertigt werden. Und ein Schmuckdesigner will sogar der traditionellen Breznform zu Leibe rücken und eine nur einmal geschlungene Herzbrezn patentieren lassen, ein unverschämtes Vorhaben, das die traditionellen Breznschlinger – ohnehin wegen der Breznschlingmaschinen vom Aussterben bedroht – eher zum wilden Tanzen der Herzschmerzpolka animiert.

In Regensburg findet man bei „Brezen-un-glück“ Trüffelsalamibrezn und süße Krapfenbrezn aus Plunderteig und andere Breznver-w-irrungen. Quo vadis brezitella? Irgendwann hängt das Original Gebildbrot nur noch am Charivari, in Silber zwar, aber nimmer zum Neibeißen. Dann konnst di vor Wuat höchstens in Hintern beißen! Und wäre unser Münchner Breznreiter einer der vier apokalyptischen Reiter, würde er aus dem Gemälde springen und Hungersnot und Schande auf so manchen Breznverhunzer bringen.

Denn nur die bayrische Brezn in ihrer reinen Form ob mit oder ohne Apostroph, mit der Weißwurst quasi verheiratet, mit dem Obazdn liiert, im Breznknödel gebettet, als Brotzeitbegleiter erste Wahl, Biergartenkönigin, auf der Wiesen jedes Jahr Millionenmal verkauft und heiß geliebtes bayrisches Nationalheiligtum verdient eigentlich die Auszeichnung: „Kulinarischer Kult- Kunst- und Kulturgegenstand mit historischer Tradition, durch den dreimal die Sonne scheint.“ Sogar Aloisius, der Münchner im Himmel, würde frohlocken und Halleluja singen und vermutlich sein himmlisches Manna gern gegen a guade Brezn eintauschen.

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