von foodhunter
Kategorie: Regional & Delikat

Bittere Momente in der Küche

Bittere Momente in der Küche
Radicchio Tardivo,

Das Essen kann nicht salzig oder süß genug sein, doch wehe es schmeckt herb. Dann scheint der Genuss dahin! Dabei haben wir eigentlich nur vergessen, wie herrlich Herbes sein kann. Bitter gehört zum „Gerüst des Geschmacks“, also ran an Endivie, Chicorée, Spitzwegerich oder Bärenklau. 

 

 Autor Oliver Zelt, Foto © foodhunter

 

Der Österreicher Sebastian Frank hatte eine bittere Kindheit. Zum Mittagessen gab es im Herbst stets bunte Blätter. Grüngelbe Endivie, weißroten Treviso, rotweißen Radicchio. Direkt aus dem Garten der Eltern oder aus dem Tante-Emma Laden von nebenan. Selbst beim Greißler, wie die kleinen Geschäfte in Österreich heißen, „kamen die Salate nicht von weit her“. Frank kann sich nicht erinnern, dass seine Mutter ihn mit strengen Worten ermahnen musste, endlich aufzuessen. Sein Teller war meistens leer. „Auch wenn es sich komisch anhört, aber die bitteren Salate haben mir schon als achtjährigem Buben geschmeckt.“

Frank ist nun Berliner , Mitte 3ß, und Küchenchef im Restaurant „Horvath“. Seine Heimat vergisst er bei seinen Gerichten nicht.

 

Sebastian Frank hat gerade seinen zweiten Michelin-Stern bekommen. Er kocht in der Champions-League und will seine Gäste nicht erschrecken, aber ein wenig erziehen. Deshalb bietet er auf seiner Speisekarte passend zur Jahreszeit Bittersalate, gelbe Rübe und Kürbiskernöl an.

 

 

Die rohen Salate sind tatsächlich bitter, wenn sie taufrisch in der Küche des „Horvath“ ankommen, manche würden sogar sagen gallebitter.

Deshalb schneidet der Koch die Blätter von Radicchio und Endivie in grobe Stücke und legt sie für 24 Stunden in Eiswasser.

Das Wasser ist danach „mindestens so bitter, wie ein Campari ohne Alkohol“. Jetzt haben die Blätter angenehme Bitternoten und Frank legt die Salate weitestgehend pur auf die Teller.

Er erwärmt den Radicchio nur kurz, gibt als Kontrast ein leicht süßliches Püree aus Sellerie und Schalotten sowie ein paar Spritzer Apfel-Balsamicoessig hinzu. Einreduzierter Saft von gelber Bete und Kürbiskernöl runden die Vinaigrette ab, ehe der Küchenmeister den Salat in Chicoréehälften einbettet.

 

Es gelte, „die Balance zu finden, dass bitter gut wird“. „Salziges und Süßes gefällt uns“, sagt Frank, „die Herausforderung ist, was Bitteres zu kreieren, was die Gäste auch im Nachhinein gut finden und noch einmal bestellen würden“. Damit kämpft der Koch gegen Essgewohnheiten an. „Kinder mögen keinen Spinat und Erwachsenen meiden später oft immer noch die grüne Pflanze“, sagt Sebastian Frank. Da hilft nur eines: probieren und immer wieder probieren.

Das kann ein langer Weg sein, denn die Skepsis liegt auf der Zunge. Dort sitzen 25 Bitter-Rezeptoren, die sofort signalisieren, Achtung Gefahr. Das natürliche Alarmsystem stammt aus den Jäger und Sammler Zeiten der Menschheit. Als unsere Urahnen durch Feld und Flur streiften, damit der Magen am Lagerfeuer nicht knurrte. Blätter, Blüten und Beeren, die bitter schmeckten flogen sofort aus dem Beuteschema heraus.

 

 

Foto fotolia © Bastiaanimage Stock

Unsere Zunge hat 25 Bitter-Signale, aber nur eines für süß.

 

War bitter bislang eher ein Geschmack, den Chefs wie Hobbygourmets gleichermaßen verschmähten, wagen sich die Küchenmeister wieder an die herben Aromen. Sie haben gelernt, sich wieder mit dem Biss in Radicchio oder Rauke anzufreunden.

Es ist allerdings kompliziert, tatsächlich Bitteres zu bekommen, denn stets versichern Bauern auf dem Wochenmarkt den Kunden, ihre Wintergemüse seinen keinesfalls bitter. Warum nur? Weil  bitter nicht angesagt ist. Selbst Rosenkohl, der gemeinhin als unangenehm gilt, bevor er Frost und damit durch um gewandelte Stärke Süße bekommt, braucht keine Kälte mehr. Das Grünzeug schmeckt jetzt stets angenehm, weil die Saatkonzerne der Agrarindustrie seit Jahren milde Sorten züchten. 

 

Viele Köche beklagen, in der Küche gehe eine durchaus edle Geschmacksrichtung verloren. Oftmals liefern nur noch Bio-Bauern, die noch ursprüngliche Sorten anbauen, das Gemüse mit der vollen Bitterwucht.

 

 

In Sinzig im Saarland streift Jean-Marie Dumaine über ungemähte Wiesen und durchs Unterholz. Der Koch sammelt Blüten, Blätter und buddelt Wurzeln aus. „Das ist die Urküche“, schwärmt Dumaine und weiß, vieles was er da in seinen Korb legt, gilt gemeinhin als ungenießbar: Spitzwegerich, Brennnessel, Bärenklau. Doch mit diesen Kräutern kocht Dumaine eine herbe Lasagne mit milder Paprikasauce.

 

Dumaine wird die Wegwartenwurzeln mit Espresso und Vanillezucker zu einer Creme rühren und mit einer bittersüßen Delikatesse überzeugen.

 

Bitter gehöre zum „Gerüst des Geschmacks“. Auch wenn „wir es verlernt haben bitter zu essen“. Da sieht sich der Koch als Küchenlehrmeister. Er freut sich über wunderschöne Wegwarte, die er samt hellblauer Blüten, dunkelgrüner Blätter und langer Wurzeln gerade gefunden hat. Großeltern wissen noch, wie in schlechten Zeiten die gerösteten Wurzeln als Kaffeeersatz herhielten, bei dessen erstem Schluck sich nicht nur der Gaumen zusammenzieht. Eine weitere Überraschung liefert der Saarländer mit den edlen Seeteufelbäckchen, die er erst einmal nicht außergewöhnlich in Tomatensauce gart, dann aber mit einem superherben Löwenzahnpüree in einer Extra-Schüssel dem feinen Fisch zutraut. Kulinarischer Mut, der einen Fabelhaft-Effekt erzeugt.

 

Kaninchen mit Löwenzahnpüree, Lamm mit Grapefruit oder Ente mit Grünkohl

 

Immer mehr Spitzenköche kredenzen ihren Gästen die bittere Wahrheit. Im Berliner „Filetstück“ serviert Sascha Ludwig Kaninchen mit Pfifferlingen und sattem Löwenzahnpüree. Sonja Frühsammer gibt ihrem Lamm neben Aubergine, Petersiliencreme mit einer saftigen Grapefruit einen bitteren Ton. Im „Alt Wyk“ auf der Insel Föhr wagt es Renè Dittrich seiner Wildente mit Grünkohlsalat, Quitte und Hagebuttenvinaigrette gleich ein herbes Trio beizugeben.

 

Der bittere Akzent auf dem Teller ist kein Spleen der Spitzenküche, um ihren Gästen etwas Abgefahrenes aufzuzwingen. Sie wollen tatsächlich diese fast vergessene Note in ihre kulinarischen Kompositionen einbauen.

 

Mediziner klatschen Beifall, denn Bitteres ist gesund. Was beim Essen zuweilen zu komischen Grimassen führt, ist weit besser als eine Magentablette nach der Völlerei. Es hilft, Gifte aus dem Körper zu spülen und nimmt fetten Speisen die Schwere.

Wie tief der Argwohn gegenüber der verlernten Geschmacksnuance ist, zeigen selbst professionelle Restaurantkritiker. Über das Beelitzer „Kochzimmer“, das gerade seinen ersten Michelin-Stern feiert, nörgeln sie heftig. Beim „Joghurt mit Karottenjulienne und ganzen Sanddornbeeren“ würden die „Bitternoten des unbehandelten Sanddorns die folgenden Gänge vermiesen“.

Sebastian Frank nimmt im „Horvath“ statt der Zitrone des Nordens, wie der Sanddorn genannt wird, eine Amalfi-Zitrone für sein bitteres Zitronenpüree. Er kratzt die weiße Schicht unter der Schale, die bei dieser Sorte besonders dick und breit ist, heraus und legt sie zusammen mit dem Saft der Zitrone und einer halben Tasse Läuterzucker in einen Vakuumbeutel. Bei 80 Grad lässt er den Mix zwölf Stunden garen. „Dann ist er weich und glasig“, schwärmt der Berliner. Nur noch kurz mit Butter und Olivenöl aufmontiert, dann ist die „bittersaure Emulsion so super, dass man sie löffelweise essen kann“. Deshalb platziert der Koch einen ordentlichen Schwung davon auf die Teller, als „Unisex-Zutat ob zu Kalb oder Fisch“.

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