von foodhunter
Kategorie: Restaurants

Die Küche der Alpen. Thorsten Probost, Lech am Arlberg

Der Blick auf die Lecher Bergwelt sei wunderbar gewesen, aber Thorsten Probost hat gelernt, dass es nützlicher ist, auf den Boden zu schauen: da ducken sich vor den Härten der Natur auf 2.000 Metern Höhe die Wildkräuter. Die kennt Thorsten wie kein Zweiter, denn das Wissen um die Kräuter hat ihm die alte Frau Lucian beigebracht. Die hat es wieder von einer alten Sennerin gelernt. Thorsten Probost bückt sich, steht mit einem Zweig wildem Thymian wieder auf. Er riecht weniger kräftig als der aus dem Süden, aber auf Kässpätzle oder zur Kalbsstelze mit Steinpilzen wird er sich dann ordentlich herausgeputzt haben.

Autor Alexander Rabl

Fast jeden Vormittag geht der Küchenchef der Griggeler Stuba des Burg Vital Resorts in Lech ein paar hundert Höhenmeter über die Almen, um Kräuter zu pflücken. Die Geschichte mit den Kräutern hat ihn irgendwann gepackt, nach seiner Zeit als Poissonier und Souschef bei Jört Wörther, dem der Guide Michelin einst die einzigen drei Sterne Österreichs verliehen hatte. Mittags wird es Kasknöpfle geben, nach einem Rezept des Chefs, zubereitet mit einer Mehlsorte, die die Wirkung von Kohlehydraten umkehren soll. Probost ist auf das Rezept beim Studium deutscher Wissenschaftler gekommen. Er bäckt auch das Brot damit und hat tatsächlich in sechs Monaten seine Figur halbiert. Vor dem Essen erzählt er noch, dass sie gerne Weine gemeinsam mit Wild- und Almkräutern degustieren, was erwartungsgemäß zu höchsten Verwirrungen im Papillensektor führen kann. Die Kasknöpfle in der Sommersonne schmecken über die Maßen gut.

Aber deswegen bin ich nicht hier. Thorsten Probost ist einer der wenigen Köche in Österreich, der es verstanden hat, wie man mit dem kulinarischen Erbe der Alpenküche umgehen kann. „Früher servierten wir den Gästen Austern zur Vorspeise,“ erzählt er. Es war kein Almspaziergang, die Hotelgäste von einer Radikalität des Weglassens beim Essen zu überzeugen. Dazu gehört auch Weglassen einer Speisenkarte. Der Gast kriegt nur ein großes Blatt, auf dem Produkte und Lieferanten aufgezählt werden, mit denen Probost arbeitet.

Was kocht dieser Probost nun, das der Gast auch nach dem x-ten Besuch in den Griggeler Stuba überzeugt ist, bei einem der besten Chefs des Landes gegessen zu haben? Ein Saibling aus dem Lecher Fischteich wurde nur kurz mit Hitze bekanntgemacht. Er schwimmt nicht, hat aber die Füße in brauner Butter aus Rohmilch, das pure nussige Aroma. Was ist das darunter? Nun, nach einigen Bissen ist klar, dass es sich um einen ein Menschenalter lang geschmorten Fenchel handelt. Diese Methoden, aus Gemüsen durch einen zeitintensiven Garvorgang etwas Neues zu machen, hat Pascal Parbot in Paris berühmt gemacht. So kocht Thorsten Probost.

Ein anderes Mal sind es wilde Krebse auf aufgeschlagenem Spinat, aromatisiert mit etwas Currystrauch. Die Flusskrebse gibt es gleich noch einmal, im gedünsteten Kohlrabi mit Jamaica Thymian. Wie die Begleitung den zarten Krebsen einmal erdige Blättrigkeit, ein anderes mal bittere Süße verleiht, da hat einer zumindest ein paar Minuten nachgedacht über das Kochen.

Natürlich beherrschen Koch und Mannschaft alles, was von guten Leuten am Herd erwartet wird. Wenn ein Hecht aus dem Bodensee gegart wird, dann nicht lächerlich brutal an der Haut gebraten, sondern mit der Einfühlsamkeit eines Klavier-Virtuosen bei der Interpretation einer Mozartpartitur. Die Kleinheit des Restaurants hilft ungemein, wenn jeder Gang ein kleines Meisterstück werden soll. Nie gibt es mehr als zwei, drei Komponenten auf dem Teller. Zum Hecht sind es gelbe und rote Bete in Ravioli von bisher undenkbarer Zartheit.

Jeder Fond, jede Sauce scheint anders, besser nicht vorstellbar. Kein Saft drängt sich da vor, kein vulgärer Schaum heischt nach Aufmerksamkeit. Tellerdekorationen der üblichen Art, Saucenstriche, Pürees mit dem weißen Tupfen in der Mitte, sucht man vergebens. Ist Probost ein Genie, das jeden Kontakt mit der Außenwelt scheut, um das eigene Große nicht aus den Augen zu verlieren? Jedenfalls ist das Fernbleiben der modischen Küchenerscheinungen der post-molekularen Epoche nicht zu leugnen.

Ein Gericht muss eine Geschichte erzählen

Er steht morgens um sechs auf, erzählt er, um den Tagesplan zu entwerfen und sich um die Dinge zu kümmern, die ihm das Wirken erst möglich machen. Er besucht den Hanseler Hof, um nach den Schweinen zu sehen. Kommt eines von der Schlachtung, wird von der Küchenbrigade das Schwein nach dem Motto von Fergus Henderson von Kopf bis Schwanz behandelt, verwurstet, verstaut, gekocht. Einige Schinken reifen seit Jahren in einer Scheune auf dem Areal des Hotels. Einmal darf ich von dem Schinken kosten, der von diesen Keulen kommt, und verstehe.

Von der Familie Lucian, Patrons des mit Verve geführten Hotels in Oberlech, hat er die volle Unterstützung. Das Hotel hat sich der Gesundheit und  Vitalisierung verschrieben. Ein Wellness-Menü kocht Probost seinen Gästen dennoch nicht, auch wenn er die Gerichte radikal entschlackt hat.

Ein letztes Beispiel, wie das alles gemeint ist: lange geschmorte Schwarzwurzeln, die aussehen wie gebratene Vanillestangen und auch tatsächlich etwas Süße verbreiten, dazu ein Teil von der Sau, ordentlich vom festen Fett mit zarten Fleisch, dann wieder ein anderes Stück mit zartem Fett und dafür festerem Fleisch. Ein Gericht muss eine Geschichte erzählen. Ein einfacher Bratensaft und doch hat man den Eindruck, dass sie daran stundenlang gearbeitet haben. Der klassische Hauptgang, das rosa Filet von irgendwas, die Taube von Mieral, all das erlaubt Probost sich und seinen Gästen schon lange nicht mehr. Zu großer Langeweile-Faktor. Wenn schon Kitz, dann nicht der Rücken, sondern die Milchziege vom Metzler in Egg, als Füllung einer Roulade mit Spitzkraut und Topinambur. So lässt sich die Küche der Alpen der nächsten Jahrzehnte vorstellen. Und das mit dem Verdacht des Kochgenies, der ständig über dem Tun des Thorsten Probost schwebt – es wird wohl einiger hungriger Tatortkommissare brauchen, um den restlos aufzuklären.

Burg Vital Resort 5* Hotel, Lech am Arlberg , Oberlech 568, 6764 Lech am Arlberg, www.burgvitalhotel.com/de/kulinarik/griggeler-stuba.aspx

Arrow right icon