von foodhunter
Kategorie: Esskultur

Die Poesie der Gerichte

Die Poesie der Gerichte

Es reicht nicht mehr, nur die Zutaten auf die Speisekarte zu schreiben. Die neue kulinarische Poesie offenbart sich zwischen “Die Schnauze voll”, “Gemüsekrokant Blätterwald”, “Schulspeisung” oder “Wattstürmer” und gibt manchmal echte Rätsel auf.

 

Autor Oliver Zelt,
Foto oben fotolia ©epiximages

 

Im Restaurant „Vendome“ bekommen die Gäste zum Dessert die „Schnauze voll“. Weil es in der Spitzenküche mittlerweile noch nicht wie in der Bierkneipe zugeht, steht zum Nachtisch ein niedliches „Zuckerschnäuzchen“ auf der Speisekarte und direkt dahinter „Schnauze voll“. Die Süßspeise sieht tatsächlich wie eine Schweineschnauze aus. Zart rosa mit dicken Nasenlöchern. Joachim Wissler serviert einen Marsh Mellow mit Himbeergeschmack. „Wir hatten die Idee den Auftakt und den süßen Abschluss ein und derselben Sache zu widmen“, sagt Wissler. Deshalb tischt der Koch das süß-saure Schnäuzchen eines Milchferkels mit Gillardeau Austern auf. Da liegen Sülze, gebackene Schweineohren und das Seearoma der Austern nebeneinander. Wisslers Team hat noch niemanden gesehen, der beim Essen dabei eine Schnute zog.

 

Für Joachim Wissler sind Alltagsküche und Dreisternegerichte zwei Welten. Das merken die Gäste beim „Gemüsekrokant Blätterwald“.

 

Oft habe er die Idee für seine Gerichte bei einem Trip durch die Natur. Für seinen Blätterwald friert er Staudensellerie, Blumenkohl, Karotte, Rote Bete und Porree ein zerbröselt dann die Gemüse und bastelt sie anschließend zu filigranen Blättern zusammen, die intensiver schmecken als wenn er das Gemüse vorher blanchiert oder gerillt hätte.

 

„Strandsalat Acapulco“ bei sächsischem Schmuddelwetter

 

Wer im Leipziger Restaurant Falco sitzt und einen „Strandsalat Acapulco“ bestellt mag bei sächsischem Schmuddelwetter an sonnige Urlaubstage denken selbst wenn er nicht am Pazifik sondern am Ostseestrand in Ahrenshoop lag. Zwei-Sternekoch Peter-Maria Schnurr enttäuscht die Ferienträumer nicht.

Was für ein unvergesslicher Abend in Acapulco würde mit „Calamaretti à la plancha, Stachelmakrele roh, Jalapenos, Tomate und Palmfleisch“ enden. Schnurr scheint eine Vorliebe für Sand in den Schuhen zu haben. Der legendäre „Le Club 55“ an der Côte d’Azur nahe Saint Tropez ist ihm eine Hommage aus Spargel, Birne, karamellisierter Schweineschwarte und Caviar wert.

 

Die Hitparade der beliebtesten Überschriften führen unangefochten Beete, Felder, Wege und Äcker an.

 

Anders als Mischgemüse, das an die Dose im Supermarkt erinnert suggeriert die freie Natur die ganze Liebe, die der Bauer in den Anbau von Obst und Gemüse steckt. Wie im Stralsunder ”Scheel’s” das einen „Waldweg“ aus Risotto, Pfifferlingen, Apfel und Melisse anbietet. In Pulheim haben sich die Köche im Restaurant “Gut Lärchenhof” etwas Besonderes ausgedacht. Der Golfplatz ist nebenan und auf ihrer Speisekarte steht ein „Golfball im Frühlingsbeet“. In einer Glasschale liegt eine Kugel aus Joghurt und Senf, die einem Sportball so täuschend ähnlich, das die Gäste eigentlich gleich aufs Grün raus könnten und ihn mit einem einzigen Schlag einlochen.

 

Amador Sommerfest, Juan Amador, foodhunter, Foto Sabine Ruhland
Das waren noch festliche Zeiten – bei Juan Amador in Mannheim, Fotos ©foodhunter

 

Wie schade, dass Drei-Sternekoch Juan Amador seine Restaurants in Deutschland geschlossen hat. Denn der gebürtige Schwabe spart nicht mit Ideen. Wer ein Gericht aus Rote-Bete-Himbeersorbet, Rote-Bete-Maccorons, Schokolack und Gewürzmilch „Brick in the wall“ nennt muss ziemlich ausgekocht sein. Als das Küchenteam „etwas mit einem Ziegelstein machen wollte“ fiel der Crew ein, den Klinker ins Englische zu übersetzen. Der Brick wurde schnell „Brick in the wall“, einer der Hits von „Pink Floyd“ und auf dem Teller bestimmt die Farbe Pink. 

Der Spanier Dani Garcia ehrt in seinem Restaurant in Marbella seine Großmutter mit einem spitzfindigen Gericht. In einen tiefen Teller setzt der Zweisternekoch eine geschmorten Sepia und gießt soviel hellen Tintenfischschaum darüber bis der Sepia verschwinden. Obenauf schwimmt ein Häkeldeckchen aus Tintenfisch-Jus, vegetarischem Geliermittel und Tintenfisch-Tinte. Er nennt es „croché“ – Häckelei. Was für eine genial Idee, Omas Handarbeit als hinreißendes Mahl. Und schon sind die Spitzentücher, die sonst in der Schublade verstauben, Gesprächsthema des Abends.

Ein wenig gewagt scheint die Überschrift im Restaurant “Klassenzimmer2 im brandenburgischen Fürstenhagen. In einer ehemaligen Schule gibt es „Schulspeisung“. Herrjemine mögen da ehemalige DDR-Pennäler denken, wenn sie sich an die Schulküche erinnern. Da verblüfft Sternekoch Daniel Schmidthaler mit „Rehwild, saurer Apfel, Erdmandel“, „Hecht, Hagebutte, Kürbis“ oder „Taube, fermentierter Honig, Gemüse“. Was wäre das für ein Festmahl an jeder Schule.

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