von foodhunter
Kategorie: Esskultur

En vogue: Bier statt Wein im Luxusrestaurant

Gott soll Hopfen und Malz erhalten. Immer mehr Gourmets trinken im Sternerestaurant das einst verpönte Gebräu. Gott sei Dank. Foodhunter Oliver Zelt war in München und in Berlin unterwegs und hat Sptzensommeliers nach ihrer Meinung gefragt. Siehe da, Bier ist auch im Feinschmeckerlokal längst en vogue. 

 

Autor Oliver Zelt

 

Im Münchner Nobelrestaurant „Tantris“ sind viele Gäste schon vor dem Essen baff. Wenn der Ober eine Rotbarbe mit Meerrettichbohnen und marinierten Gartentomaten serviert, empfiehlt Sommelier Justin Leone überraschend als Begleiter ein Bier. Leone greift zum Greenwich Indian Pale Ale für den feinen Fisch. Das in London gebraute Bier werde „durch zusätzliche Hopfen im Tank quasi trocken gehopft“. Die „aromatisch grüne Frische“ stütze ein „ schwerer fruchtiger, doch konzentrierter Körper“.

 

Tantris München, Foto Foodhunter
Tantris München – nicht nur optisch neue Zeiten. Foto ©foodhunter

 

Zwar empfehlen vermeintlich versierte Restaurantknigge-Berater immer noch, im noblen Lokal das Bier höchstens an der Bar zu trinken, aber immer mehr Spitzenhäusern emanzipieren sich vom  Glauben, nur die hohe Kunst der vergorenen Trauben könne dem Gourmet den Höhepunkt des Essens auf die Zunge zaubern.

Es sei „absurd, überall auf Qualität zu setzen und beim Bier nicht“. Selbst in den meisten sternedekorierten Restaurants kneift der Ober nicht mehr pikiert die Augen zusammen, wenn der Gast nach einem Bier fragt um ihn dann fast peinlich berührt ein schlichtes Pils zu servieren. Bier sei in der Herstellung so anspruchsvoll wie Wein, sind sich die Experten der Branche einig.

Im Rutz gibt es en spezielles Biermenü

 

Das würde Billy Wagner sicherlich sofort unterschreiben. Im Berliner Restaurant „Rutz“ sorgt Wagner für den richtigen Schluck zum regionalen Schmaus. Das sternedekorierte Lokal bietet Biertrinkern, die „der Bierlangeweile zu entkommen suchen“ ein spezielles Menü mit Spitzengebrautem. Zu „Beuthes geschmortem Schweinebauch & Pilzragout sowie  Apfel-Soja“ trinkt der verwöhnte Gast dann ein Lavendel XPA IPA von der Kreuzberger Firma „Schoppe Bräu“. Die verklausuliert klingenden Versalien beschreiben das India Pale Ale, der neue Star unter den Schaumgetränken. Ein Bier, das seinerzeit für Kolonien gebraut und mit dem Schiff um die halbe Welt segelte. Es hatte deshalb viel Hopfen und eine Menge Alkohol, damit es zwischen wellen und Wogen nicht umgeht.

Der Schweinebauch sei „dick, fett und schmelzig“ aber genauso wichtig ist, was drumrum liegt“, sagt Wagner. Deshalb passe das kraftvoll-aromatische Gebräu bestens zu dem 60 Stunden langsam gegarten Schweinbauch mit Pilzragout und Noten von Apfel-Soja und Lavendel.

Zur deutschen Esskultur „gehören guter Wein und gutes Bier“ sagt Billy Wagner ohne Zweifel. Die Kunst des Bierbrauens ist mindestens so alt wie die Kunst des Weinkelterns. Doch heute teilen sich wenige Großbrauereien den Weltmarkt auf. Deren Biere schmecken meist weniger großartig.

Weinbar Rutz in Berlin. Bier mit Stern, Foto ©Rutz

Schoppe Bräu

Die edlen Verwandten verlangen nach mehr Zeremonie. So empfehlen Experten „den ersten Schluck retronasal zu genießen“, was wohl ein bisschen Übung bedarf. Denn einen kleinen Schluck auf der Zunge liegen zu lassen und durch die Nase darüber hinweg zu atmen, ist kaum angeboren. Solche Rituale zeigen, das die Brauer den Winzern auf Augenhöhe begegnen wollen. Immerhin verweisen die Bier-Tester mit Hochgefühl darauf, dass sie in ihrem Job rund 140 Aromen erschnüffeln können. Die Kollegen aus der Weinbranche hätten da nur maximal 70 Geschmäcker vor der Nase.

 

Die Vokabeln und die Sprache der Bierexperten erinnern bereits an den für Laien teilweise schwer verständlichen Stil des Weinwortschatzes.

 

Da kann beim Lesen der lukullischen Lektüre schon mal der Schaum verfliegen. Hans Müller braut nach dem deutschen Reinheitsgebot in Aschaffenburg einen Gerstentrank den er stolz „Sommelierbier“ nennt und der sich mit „einer überraschend fruchtige Nase, von leichter Zitrusnote, begleitet von deutlichem Dörrobstcharakter“ präsentiert. Es sei „malzig im Antrunk mit moussierender Rezenz untermalt von einer unaufdringlichen Holznote.“ Kein Wunder, das Bier lagert für seine besondere Reife in Holzfässern. Noch einen drauf setzt die Brauerei zum Klosterhof in Heidelberg. Für ihr Siegelbier ruht der Ansatz abwechselnd in alten Sherry-, Brandy, Whisky- und Barriquefässern und kostet den exklusiven Feinschmecker  stolze 22 Euro für einen Dreiviertelliter.

„Bier hat wie Wein einen Charakter, heute trinke ich das, morgen probiere ich ein anderes und dann das“, sagt Billy Wagner. Wobei das richtige Glas über den richtigen Genuss entscheidet. Je schlanker das Bier, des schlanker das Glas, je stärker, desto bauchiger.

 

Eine Pariser Bar offeriert 200 Biere

 

Das ist eine „private Leidenschaft“. Die Arbeit höre nicht „nachts um 1 Uhr auf, wenn der letzte Gast gegangen ist“. Als Wagner neulich in Paris war, setzte er sich in eine Bar, die „200 Biere im Angebot hatte“. Wagner probierte „3 davon“ und hat den Geschmack jetzt für immer „auf der Zunge“. Er machte mit dem Handy ein Foto und könnte sich das Bier jetzt besorgen.

Im Berliner „Rutz“ sitzen die Gäste derweil bei „Linumer Lammschulter & Kartoffel-Bärlauch,
Mairübe, Kirschtomate“ und trinken dazu ein französisches obergäriges Starkbier. Zum Dessert liegen eine Rharbarbertarte und Sauerrahmeis auf dem Teller. Billy Wagner hat für das Finale ein Cider-Bier aus Wales ausgesucht.

Ein wenig ist es auch eine Art Endspiel für ihn. Wagner verlässt im nächsten Monat das „Rutz“ in bester Freundschaft mit Marco Müller. Demnächst könnten beide Konkurrenten sein. Denn Wagner will in Berlin sein eigenes Restaurant eröffnen.

 

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