Heu, Orange, scharfer Rettich. Milch aus Petersilienwurzeln, Estragon und Meersalz. Apfel-Holundersaft mit Zwiebelduft und Mandelöl. Karotten-Ingwer-Limonade. – Die Spitzenküche greift zum Saft statt zum Wein. Foodhunter-Autor Oliver Zelt hat hemmungslos durchgesoffen – und keinen Kater bekommen.
Sebastian Frank mag es saftig. Gerade hat das Berliner Restaurant „Horvath“ den zweiten Michelin-Stern bekommen, da beeindruckt der Koch seine Gäste nicht nur mit seinem genialen Menü sondern überrascht auch mit ungewöhnlichem aus der Flasche. Eine „hausgemachte alkoholfreie Getränkebegleitung“ offeriert nun die Speisekarte.
Wer es möchte, dem gießt der Service dann zu Bittersalaten, wie Radicchio und Endivie, eingehüllt in Chicoréeblätter, eine weiße, samtig schimmernde Flüssigkeit ins große Glas. Es ist eine Milch aus Petersilienwurzeln, Estragon und Meersalz, die wunderbar cremig am Gaumen ist. „Ich wollte etwas, was die Bitterkeit auffängt und harmonisiert“, sagt Frank.
Der Koch entsaftet Petersilienwurzeln und lässt den Extrakt 24 Stunden stehen, damit sich die Stärke absetzt und der Saft den mehligen Touch verliert. Dann mixt Frank den Gemüsesaft noch mit einem Schuss Dinkelmilch und einem glasklaren Gemüsesaft. Zusammen mit Estragon und Meersalz ist das fast ein eigenes Gericht im Glas.
Sebastian Frank weiß, er muss „bei Säften wegen der Sättigung aufpassen“. Deshalb stellt er zuerst eine klare Grundsubstanz her. Stangensellerie, Äpfel, Karotten und Petersilienwurzeln wandern dafür in den Entsafter und ziehen bei 75 Grad bis ein Kuchen mit Trübstoffen aufsteigt. „Unten bleibt die Mischung durchsichtig wie Wasser und schmeckt wie ein frisch gepresster Saft, weil die Flüssigkeit nicht gekocht hat“. Für viele seiner Getränke ist dieses Gemüseklar die Basis. Auch für den Apfel-Holundersaft mit Zwiebelduft und Mandelöl. „Mit dem Öl wird es reichhaltiger und erinnert an den Schmelz von Rotwein. Prima zum Reh samt Karotte und Gerste.
Das Angebot eines Sommeliers, einen köstlichen Saft zu den Speisen einzuschenken, ist in der Spitzenküche noch selten. Doch in immer mehr Restaurants denken die Chefs über eine Alternative zum bislang alternativlosen Wein nach.
Wer das Auto vor der Tür stehen hat, kann zwar ein kulinarisches Feuerwerk auf seinen Tellern genießen. Im Glas sprudelt den ganzen Abend aber meist Wasser höchstens Apfelschorle. Ähnlich geht es Schwangeren, Geschäftsleuten oder Gästen, die stets auf Alkohol verzichten. In Skandinavien sei das „Gang und Gäbe“, sagt Sebastian Frank. Essen soll keine Völlerei, sondern gesunder Genuss sein.
In Basel freuen sich viele Stammgäste immer wieder auf die nichtalkoholischen Getränke bei Tanja Grandits. Im Restaurant „Stucki“ serviert die Meisterköchin zum Reh einen dünnflüssigen, knallgrünen Smoothie aus Birne, Petersilienwurzel und Petersilienblättern sowie zum Saibling eine Karotten-Ingwer-Limonade.
Gerade die Generation der jungen Spitzenköche bastelt an Alternativen zum Alkohol und will ihren Gästen damit zeigen ein Gemüsesaft kann ein Genuss sein.
Im Mühlheimer Restaurant „Am Kamin“, gerade mit dem ersten Michelin-Stern dekoriert, reicht der 27jährige Chefkoch Sven Niklas Nöthel zur Taube in Heu Radieschen, Rettich und Blutorange. Sein Patisier Tobias Weyers kümmert sich nicht nur um die Desserts sondern auch um die Drinks. Dafür nimmt er die Zutaten aus den Gerichten wieder auf und sorgt für ein flüssiges Zusammenspiel der Produkte. Weyers lässt Heu im Wasser ziehen, hobelt Zesten von der Blutorange ab, legt sie in die Grasbrühe und gart alles im Vakuumbeutel souse vide. Im Glas kommt ein Eiswürfel aus Rettichsaft als Überraschung hinzu. „Ein wunderbarer Trank aus dem erdigen Heu, der frischen Orange und dem scharfen Rettich“. Passt prima zur Taube.
Beim „Sauerbraten vom Frischling mit Grünkohl und Kerbelwurzel“ nimmt Weyers den Fonds vom Grünkohlkochen, verfeinert diesen mit einem Hauch Verjus und gibt einen Klecks Senf für eine gewisse Schärfe hinzu. „Wunderbar zum Gericht, solo sehr speziell“. „Manche Gäste trinken zuerst einen Wein wechseln dann zum Saft und nehmen als Abschluss wieder einen Schluck Süßwein“, sagt Weyers.
Viele Gäste schauen erst einmal verdutzt, wenn der Service ihnen mit freundlichem Lächeln erklärt, der Saft würde fast ebenso viel kosten wie der Wein. Doch selbst kreierte Säfte wie im „Horvath“, dem „Stucki“ oder im Restaurant „Am Kamin“ sind wie große Gewächse, fein austariert. Die Saftbegleitung wird zur erweiterten Spielwiese vieler Spitzenköche.
Im Nürnberger „Essigbrätlein“ mixt Andre Köthe frische Säfte, wenn die Gäste es wollen. Zum Auftakt gibt es duftende Säure aus „Sauerampfer und grünem Apfel“. Guter Saft zum Essen sei eine Herausforderung für die Küche. „Man braucht einen Extra-Koch, der sich speziell mit den begleitenden Getränken beschäftigt und die auf die Gerichte abstimmt“. Köthe findet, Saft, Gemüsemilch oder Molke, elegant aromatisiert, sei zum Essen etwas äußerst Feines. Gibt aber zu bedenken, wenn eine komplette Saftbegleitung zu allen Gängen „frisch vorbereitet wird und niemand trinkt sie, muss ich alles weggießen“.
Selbst in Restaurants, deren einzige Wahrheit zum Essen nicht der Wein ist, müssen Gäste meist nachfragen. Eine spezielle Karte gibt es selten. Oft ist der nichtalkoholische Tropfen noch eine Nische.
Im Zweisternerestaurant „Il Giardino“ bietet Gastgeberin Kathrin Feix eine besondere Wahl zum Wein an. Die Sommeliere reicht zu den Speisen ihres Mannes Dennis Feix feine Tees. „Der Tee ist verwandt mit dem Wein. Die mineralischen Erden in den Anbaugebieten bestimmen den Geschmack“. Kathrin Feix gibt zur Barbarie Ente mit bunten Karotten „ein paar mehr Blätter vom chinesischen Schwarztee „Goldknospe“ zum Aufguss. „Der Tee hat röstige Noten und nicht so viele Gerbstoffe. Das harmoniert mit dem Fleisch“. Wer eine Forelle, die mit ihrer eigenen getrockneten und gemahlenen Haut raffiniert gewürzt ist, genießt, dem brüht die Sommeliere ein Gemisch von zwei verschiedenen Grüntees auf, die die Melisse und Kardamom-Aromen aus dem Fischgericht wieder aufnehmen.