Die Insel mit ihrem milden Klima bietet Gourmets mehr als ihren berühmten Dessertwein, wenngleich die Insel kein Ferienziel ist, das für höchste Kulinarik steht. Die Küche Portugals mit ihren dicken Saucen und Eintöpfen hat auch in Madeira Spuren hinterlassen. Doch es gibt Geheimtipps, weiter weg von den großen Hotels. Wir haben Madeira für Sie entdeckt – landschaftlich und gastronomisch. Wichtigster Tipp: Mietwagen nehmen.
Autor Rudolf Böhler,
Foto oben ©Frank Nürnberger, unten ©Rudolf Böhler
Ein paar Wolkenfetzen, die Maschine sinkt, nimmt eine Kurve. Plötzlich lichten sich die Schleier und der Pilot steuert geradewegs durch eine Felsenschlucht weiter Richtung Boden, um dann auf einer Landebahn aufzusetzen, die im Meer beginnt und endet. Abenteuerlich ist die Ankunft auf Madeira. Kaum raus aus dem Flieger, empfängt uns das typische Klima, feucht und warm, das Geheimnis des ewigen Frühlings auf der Insel, die keinen Winter, aber auch keinen überhitzten Sommer kennt. Dafür bis zu drei Ernten jährlich, exotische Früchte, noch nie gesehene Fische und last but not least den berühmten Madeira-Wein.
Gigantische Landschaften, Knoblauch-Brot-Suppe und ein Bad im Lava-Pool
Der erste Erkundungsausflug führt uns nach São Vicente, entlang der alten Passstraße, die den Tunnel vermeidet. Lohn für die kurvige Angelegenheit: eine gigantische Landschaft, Entdeckungen der romantischen Levadas, der Wasserkanäle mit Wanderwegen, und das legendäre Wirtshaus am Pass, mehr eine Bar, mit ehrlicher Landeskost. Dazu gehört die Açorda, die typische Knoblauch-Brot-Suppe mit dem pochierten Ei und die Espetadas, die Rindfleischspieße. Auf der anderen Seite geht es 1.000 Höhenmeter hinunter an die Küste. In São Vicente gibt es die einzigen Höhlen auf der Vulkaninsel zu bestaunen.
Wir fahren weiter nach Westen. In Porto Moniz hat die Lava flache Becken geformt, die bei Ebbe ruhig daliegen wie ein Pool und zum Relaxen im Meerwasser einladen. Das ist ansonsten kaum möglich, denn Madeira besteht fast ausschließlich aus Steilküsten. Wer nicht baden will, besucht eines der Fischrestaurants entlang der Uferpromenade und wählt Variationen von Peixe Espada, dem schwarzen Degenfisch, den es ausschließlich um Madeira gibt. Klassisch mit Banane gebraten oder mit Maracuja zubereitet und auf 50 andere Arten. Im Ganzen sieht er ziemlich gefährlich aus, mit riesigem Auge und spitzen Zähnen, aber als Stück vom Filet des schlangenhaften Eineinhalb-Meter-Ungetüms, das bis 2 km tief im Meer lebt und nachts geangelt wird, schmeckt er ausnehmend zart.
Am nächsten Tag fahren wir nach Ponta do Sol, ein Örtchen das seinem Namen alle Ehre macht. Viel Sonnenschein und ein schöner Kiesstrand. Unsere Empfehlung ist das Restaurant „Sol Poente“, nur über einen Fußsteig zu erklimmen, denn es ragt wie ein Mövennest auf einer Felsspitze hervor. Neben der kitschig schönen Aussicht ist das Lokal vor allem berühmt für seinen frischen Fisch und die Lapas, die Napfmuscheln. Als Vorspeise im Pfännchen gegrillt, mit Knoblauch und Zitrone eine ungewöhnliche Delikatesse.
Das Land der Kirschen und Kastanien
Um einen weiteren kulinarischen Schatz der Insel zu finden, müssen wir ins Landesinnere, in den „Nonnenstall“. Von der Schnellstraße nehmen wir die Ausfahrt São Martinho und folgen den Wegweisern nach Curral das Freiras, einem Ort in einem 633 Meter hohen Talkessel, wohin einst Nonnen vor den Piraten an der Küste flohen. Spektakulär ist nicht nur die Lage dieses Dorfes, das umgeben von Hunderten kleiner, steiler Anbau-Terrassen ist, die meisten kaum noch benutzt. Es werden dort vornehmlich Kirschen und Kastanien angebaut. Das beschert Genießern so seltene Dinge wie Kastaniensuppe und Kastanienkuchen, den fruchtigen Kirschlikör Ginja und den gewöhnungsbedürftigen braun-grieseligen Kastanienlikör Licor des Castanhas. Im Gasthof „Nun’s Valley“ gibt es Gelegenheit, diese Spezialitäten zu verkosten.
Wem nach so viel Süßem der Sinn nach Deftigem steht, macht sich auf nach Arco de São Jorge ins „Casa Chà“, ein Restaurant mit Top-Rindfleisch aus eigener Produktion der zugehörigen Quinta do Arco. Spezialität ist „Espetada“ bei dem nach alter Sitte die in Wein marinierten Fleischstücke auf Lorbeerholz gespießt werden und so dessen Geschmack annehmen. Das Ganze kommt mit „Milho frito“, frittierten Polentawürfeln, auf die Teller.
Ebenfalls typisch für die Insel sind die zerbeulten, mit Holz beheizten Blechöfen, die bevorzugt am Wochenende vor Häusern oder an Straßenkreuzungen aufgestellt sind. Direkt auf der Platte liegen dicke Teigfladen, die noch warm verkauft werden: „Bolo do Caco“, eine archaische Form von Brot aus Weizenmehl und Hefe und manchmal auch etwas Kartoffelanteil. Wenn Sie es kosten, dann warm und mit Knoblauchbutter. Ab und an braten auf den Grills auch „Frangos“, Hähnchen, die zuvor halbiert und plattgedrückt wurden, damit sie gleichmäßiger garen.
Zwischen Pitangas, Chuchu und echtem Madeira
Wer keine Höhenangst hat, der muss zur „Fajã dos Padres“. 187 Stufen nach unten, dann 250 Höhenmeter in einem Aussichtslift hinab, um schließlich weitere 181 Stufen hinabzusteigen. Dort wartet ein Paradies, ein schmaler, fruchtbarer Streifen Land direkt am Meer, dicht bewachsen mit Mangobäumen, Bananenstauden und Pitanga-Sträuchern. Pitangas sind köstliche knallrote Früchte, so empfindlich, dass sie direkt vom Busch gegessen oder sofort verarbeiten werden müssen: zu Saft, Marmelade oder Eis. Weshalb die Spezialität des Restaurants auf der Fajã auch Käsekuchen mit dem Pitanga-Püree ist. Paradiesisches Extra: vom restauranteigenen Steg ins türkisfarbene Wasser des Atlantiks hüpfen!
Für jeden Foodhunter ist ein Besuch der Märkte Pflicht und Lust zugleich. Der bunte „Mercado dos Lavradores“ in Funchal ist bestes Fotomotiv, mehr nicht. Einkaufen sollten Hobbyköche sonntags in Estreito de Câmara de Lobos, weil viele Bauern aus der Gegend zu Markt und Messe ins Dorf kommen. Es gibt Gemüse und Obst in Hülle und Fülle, darunter auch Chuchu, eine runzlige und leicht stachelige Frucht, die zu den Kürbisgewächsen gehört, innen einen weichen, essbaren Kern hat und die wir zubereiten wie Kohlrabi.
Ansonsten scheuen wir auf Madeira auch nicht die Supermärkte Pingo Doce und Modelo, sie bieten erstaunlich gute Fischabteilungen. Jeden Tag andere frische Sorten wie Bodião (Papageifisch), Pargo (Sackbrasse), Sargo (Geißbrasse) oder Salema (Goldstrieme). In großen Stapeln häufen sich ganze Stockfisch-Hälften. Diese lokale Spezialität haben wir aber lieber im Restaurant probiert.
Der berühmte Madeira
Was ist mit dem berühmten Madeira? Natürlich sind alle Souvenir-Stände und Supermärkte voll davon, doch leider nur mit Billigwein aus der Tinta Negra Mole, der heimischen Feld-Wald-und-Wiesen-Traube und nur für drei Minimum-Jahre gelagert.
Der echte Madeira wird hergestellt aus Malvasia oder Malmsey (süß), Bual oder Boal (halbsüß), Verdelho (halbtrocken) oder Sercial (trocken). Selten zu finden, aber unser Favorit: der halbtrockene Terrantez. Gute Qualitäten tragen die Reb-Bezeichnung und fangen ab einem Alter von 10 bis 15 Jahren an. Lagerung ist wichtig beim Madeira, der wie Sherry ein „aufgespriteter“ Wein ist, dem also zusätzlich Weinbrand zugesetzt wurde. Sein besonderes Aroma erhält er durch das Fassholz und durch Erwärmung. Traditionell, indem die Fässer oberirdisch in hölzernen Gebäuden gelagert werden, auf die die Sonne scheint oder künstlich mit Hilfe riesiger „Tauchsieder“. Führungen mit guter Erklärung und Verkostung bei „Adegas de São Francisco“ in Funchal. Eine exzellente Adresse für traditionell erzeugte Madeiras ist „Artur Barros e Sousa“ in der Rua dos Ferreiro. Dort durften wir in den alten Weinlagern rumstromern, probieren und erstanden am Ende eine verstaubte Flasche, von der nicht einmal der Patron das Alter kannte. Er sagte nur: „Die muss noch vom Großvater sein …“ – Madeira, wie spannend. Nicht nur für Rekonvaleszenten.