Sebastian Völz ist ein Sammler. Als Kind fuhr der Thüringer zusammen mit der Familie zur Tante aufs Land. Dort standen, südlich von Gera, in einem kleinen Ort Kastanienbäume. „Ich war stolz auf jede Marone, die ich vom Boden aufgelesen und in den Korb gelegt habe“, erinnert sich der Koch. Noch viel spannender war es für den kleinen Sebastian, wenn die Kastanien später auf dem Rost „wie von alleine aufgingen“.
Autor Oliver Zelt,
Fotos ©foodhunter
War der Kick mit der Kastanie der erste Anstoß, Koch zu werden? Die Großmutter hatte eine Metzgerei und der Enkel schaute zu, wenn im Tiegel neben dem Hirschbraten zahlreiche Kastanien mitschmorten. In die legendären Thüringer Klöße, selbstverständlich handgerieben, durfte der junge Völz kleine Maronenstücke in die Mitte geben.
Die Marone begleitete den Thüringer durch seine Küchenkarriere und er vergaß nie, neue Erfahrungen mit der Frucht seiner Kindheit zu sammeln.
Heute kocht Sebastian Völz im Restaurant „neuzeit@gewagt“ im Hansa-Haus in Kühlungsborn. Selbst im hohen Norden, wo die Kastanie eher zu den exotischen Zutaten gehört, freut sich der Koch auf Dessertvariationen.
Die Maronen gelten zwar als mächtig sind aber auch mächtig süß. Eine Paradefrucht für einen formidablen Nachtisch: Maronenbuchteln, Brioche mit Maronenmehl und kleingeschnittenen Maronen, Dreierlei aus Mousse, Eis und Karamellgelee. Alles abgerundet mit einem Kleckser einreduziertem Sherry-Essig.
Es nicht das Comeback der Maronen, es ist ihr spätes Debüt in der Spitzenküche. Ihr Image als schaler Mehlsack hat die Küchenmeister lange verschreckt.
Danijel Kresovic, lange Zeit Koch in Berlin, wickelte eine Wildtaubenbrust in eine Spinatfarce, die er Maronenmehl vermischte.
Sternekoch Alexander Hermann aus Bayern schwört auf Maronen-Gnocchi mit Walnussbutter.
Eckart Witzigmann schneidet für seine Maronensuppe geröstete Esskastanien klein und dünstet sie in geschäumter Butter an, gießt einen Schluck Wildfond an und püriert alles im Mixer sehr fein. Ein Schuss Sahne und Madeira runden die herbstliche Kreation ab, gebratene Steinpilze und Fasanenbrust krönen sie.
Bayern-König Ludwig I., der die Kastanie als „besten Zeugen des südlichen Klimas“ bezeichnete, pflanzte in der Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner Sommerfrische in der Nähe von Edenkoben im heutigen Rheinland-Pfalz mehr als 20 000 Bäume, die immer noch kräftige Äste haben und von den Einheimischen gesammelt werden. „Keschde“ nennen sie ihre Esskastanien.
Viele Pfälzer scheinen dann in einem Maronen-Rausch zu sein. Metzger bieten Keschdesaumagen und Keschdewurst an, Bäcker formen Keschdebrot. Zum Runterspülen gibt es Keschdegeist.
In Edenkoben ließ der Kastanienliebhaber König Ludwig I. von Bayern rund um seine Sommerresidenz Villa Ludwigshöhe 10.000 Kastanienbäume pflanzen. Jedes Jahr wird zu Ehren der Waldfrucht ein Kastanienmarkt veranstaltet. Royal geht es in Annweiler am Trifels zu, wo im Rahmen des »Keschdefeschds« die neue Kastanienprinzessin gekrönt wird. Kulinarische Köstlichkeiten wie Keschde-Pralinen, -Liköre, -Brot, -Waffeln, -Kuchen und natürlich -Saumagen gibt es während der Kastanienwoche in Hauenstein.
Neben der deutschen Maronen-Mitte in der Pfalz gibt es in vielen Bundesländern ein paar weitere Bäume. In Sachsen-Anhalt nahe Wernigerode, Brandenburg im Spreewald und sogar in Berlin. Esskastanien stehen etwa in Erkner, auf dem ehemaligen Mauerstreifen in Treptow oder in der Hasenheide.
Was heute ein Sammel-Spaß beim Sonntagsspaziergang ist, war früher vor allem für die Ärmeren überlebensnotwendig. Allerdings verderben die Maronen schon nach einer Woche, deshalb machten die Dörfler die wertvollen Kastanien in einer langwierigen Prozedur haltbar. In speziellen Dörrhäusern, in denen unten Tag und Nacht ein Feuer schwelte, lagen darüber auf Holzgittern die Kastanien und trockneten langsam. Nach etwa drei Wochen war die gesamte Feuchtigkeit aus den Maronen heraus. Dann begannen die Frauen sie zu schälen, die Kerne zu zerkleinern und am Ende in einer Mühle daraus Mehl zu malen. Die Italiener nennen die Kastanie noch heute „Albero des pane“.
„Kastanien aus dem Feuer holen“, heute die Redensart für eine schwierige Aufgabe. Beschrieben im 17. Jahrhundert vom französischen Fabeldichter Jean de la Fontaine. Als ein Kater im Haus seines Herren für sich und einen Affen Kastanien aus der Glut scharren will, verjagt ihn die Magd.
Wer Esskastanien sagt, meint auch Maronen, irrt sich aber. Maronen stammen zwar aus derselben Familie der Nussfrüchte, sind aber die edle Zucht der Edelkastanie.
Maronen gelten als feiner im Geschmack erinnern in ihrer Form an ein kleines Herz und haben dunkle Steifen auf ihrer rotbraunen Schale. Während normale Esskastanien größer, runder und auf einer Seite flach sind.
Obwohl in jedem Supermarktregal geschälte Dosenmaronen stehen, sollten sie dort am besten auch stehen bleiben. Die Mühe des Schnitzens, Pulens und Röstens lohnt sich.
Aber auch auf den Wochenmärkten gilt es genau hinzuschauen. Nur glänzende Früchte sollten ins Körbchen, matte am besten gleich beim Händler bleiben, weil sie meist schon etwas älter und innen trocken sind.
Ein bisschen Schwund ist immer dabei und kann noch mehr werden. Wer sicher gehen will, legt die Maronen zu Hause in lauwarmes Wasser. Die oben schwimmenden fliegen flugs in den Mülleimer. Dann geht’s erst richtig los. Wieder Wasser heiß machen, die Kastanien zehn Minuten hereinlegen und mit einem scharfen Messer kreuzförmig einritzen. Im Backofen bei 200 Grad rösten die dunkelbraunen Früchte noch dunkelbrauner und die Schale wölbt sich nach einer viertel Stunde nach außen. Geschafft aber immer noch nicht fertig. Jetzt die Schale abziehen und auch die darunter liegende pelzige Haut nicht vergessen, ganz zu entfernen.
Puristen versichern, es gebe nichts Leckeres als eine geschälte Marone, ein kleines Stückchen Butter und bestes Salz obendrauf. Na ja, eine Gansfüllung aus Maronen ist nicht gerade puristisch dafür aber köstlich und eine schöne Tradition.
An der Ostseeküste kombiniert Sebastian Völz Fisch und Maronen.
„Schmeckt ausgesprochen raffiniert“, lacht der Koch. Seine asiatischen Karpfenklöße mit Maronen sind so überraschend wie einmalig. Völz aromatisiert die Karpfenstücke mit Sojasauce und Reisessig, schneidet Petersilie, Ingwer sowie Maronenstückchen hinein und rundet mit Maronenhonig ab.
Während die Fisch-Soja-Maronenkügelchen im Wasserbad stocken, setzt Völz einen Sud aus Schwarzbier und Steinpilzen an und gart ein paar Maronen im Grill-Smoker. Dann gießt er die Bier-Pilz-Brühe in einen tiefen Teller, setzt die Fischklöße hinein und reibt die gerade gesmokten Maronen mit einem Trüffelhobel fein darüber.