Der Frühlingsnebel liegt wie dichter Rauch über dem Chiemsee. Kirchenglocken läuten und entfernt hört man den Dampfer, der die Gäste stündlich auf die Fraueninsel bringt. Nicky Sitaram Sabnis, in indische Seide gehüllt, erwartet seine Gäste. Denn einmal im Monat findet im Seminarhaus der Abtei Frauenwörth ein Ayurvedischer Kochkurs statt.
Autorin Karin Lochner
Kein Kurs aus dem Seminarprogramm des Klosters hat mehr Zulauf, als der des kochenden Hindus. In der Hauswirtschaftsküche im ersten Stock des ehemaligen Mädcheninternats werden die 14 Teilnehmer die nächsten zwei Tage schnipseln, schälen, mörsern, braten, frittieren und kochen. Und Nicky, 52, wird ihr Lehrer sein.
„Ayurveda ist, dass du keine Pizza mehr bestellst. Denn bis du telefonierst, ist das Essen schon fertig!“
Er zieht sich seine Kochjacke mit dem eingestickten Namen an und bittet darum, die mitgebrachten Küchenschürzen umzubinden. Er klatscht in die Hände: „Was ist Ayurveda?“. Alle schweigen. Nicky wedelt mit den Armen wie ein Bollywood-Tänzer: „Ayurveda ist, dass du keine Pizza mehr bestellst. Denn bis du telefonierst, ist das Essen schon fertig!“
Dann wirbelt er durch die 70er-Jahre-Optik der Küche und verteilt Rezepthefte und Aufgaben. Als dort der Teig nicht klappen will, greift er beherzt ein und knetet mit routinierten Fingern als möchte er ihm zu einem neuen Aggregatszustand verhelfen: „Du musst einen Batz kneten, keinen Beton mischen.“

An einem anderem Arbeitstisch streichelt er die Ablage und flüstert: „Ganz meditativ rollst du jetzt den Teig aus. Keine Mucki-Arbeit, ganz fein.“ Am Nebentisch nimmt er die Pfanne vom Herd und wirft wie ein Zirkuskünstler beim Jonglieren, die Gemüsestifte darin, den bunten Inhalt in die Luft. Kein einziges Stück landet auf dem Boden. Nicky dreht keck den Kopf und verkündet: „Lernen wir beim nächsten Kurs. Kannst auch mit dem Kochlöffel rühren.“
Draußen scheint jetzt die Sonne hinter der Kampenwand. Die Osterglocken im Klostergarten neigen ihre Köpfe wie betende Ordensschwestern. Der Nebel über dem Chiemsee schwebt himmelwärts, gibt den Blick frei auf eine spiegelglatte Wasseroberfläche. In Nickys Lehrküche dampft es, denn in allen Töpfen zischt und sprudelt es. Schweiß rinnt über die erhitzten Gesichter. „Kein Stress. Sonst wird es kein Ayurveda-Gericht.“
Zur Abkühlung bietet er heißes Wasser an, ja, heiß. Ist gar nicht so fad wie erwartet. „Das kommt vom langen Kochen,“ erklärt Nicky. „Das Wasser verändert sich und schmeckt fast süßlich.“ Wem das trotzdem zu „lätschert“ ist, kann sich bei feurigem Ingwer-Wasser oder duftigem Chai, dem indischen Milchtee mit Kardamom bedienen, während Nicky über Kochen redet. Sein Lieblingswort dabei ist „lätschert“. So darf das Essen nicht schmecken.
Im Ayurveda, der „Lehre vom gesunden Leben“, gibt es nicht die eine einzige richtige Ernährungsweise. Erst muss man seine persönliche Grundkonstitution, genannt Vata, Pitta oder Kapha und deren Mischformen erkennen.
- Vata-Typen sind dem Element Luft zugeordnet, frieren leicht, sprudeln vor Ideen und haben einen unruhigen Schlaf.
- Die feurigen Pitta-Menschen haben ein gutes Erinnerungsvermögen, schlafen schlecht ein, dann aber gut durch.
- Der erdige Kapha-Typ neigt zur Gewichtszunahme, ist bodenständig und bleibt am liebsten zu Hause.
Nicky hebt seinen Zeigefinger „Welche sechs Geschmacksqualitäten könnt Ihr unterscheiden?“ Die Teilnehmer zählen auf: süß, sauer, salzig, scharf, bitter, herb. Aus dem Zusammenspiel der Elemente, der Konstitution des Menschen und den Geschmacksrichtungen ergibt sich eine individuelle Wirkung auf jeden Menschen.
Während Kapha-Typen ihr Verdauungsfeuer anregen sollen, zum Beispiel indem sie ihr Essen mit Chili würzen, ist dies bei den Vata-Typen unnötig, ja geradezu kontraproduktiv.
Abends strömt die Abendsonne durch die Fenster. Ein verführerischer Duft zieht durch den gesamten ersten Stock. Im Speisezimmer steht das Buffet. Die silbernen Platten dampfen. Ebenso die Gesichter, vor Stolz und Vorfreude. Nach dem christlichen Tischgebet – hier vereinigen sich die Kulturen wieder – füllen alle ihre Teller, und es wird still.
Trotz aller Unterschiede gibt es für jede Mahlzeit Regeln: Sie sollte alle sechs Geschmacksrichtungen enthalten und immer frisch, mit Liebe und Achtsamkeit zubereitet sein.
„Liebe geht durch den Magen.“ ist für Nicky Sitaram Sabnis ein ayurvedisches Prinzip. Seinen Schülern nickt er zufrieden zu. Und die freuen sich darauf, das Erlernte am heimischen Herd auszuprobieren. Sie wissen jetzt: Hauptsache nicht lätschert! Noch Chai? Oder heißes Wasser?
Neben diesen Kochwochenenden bietet Nicky Sitaram Sabnis auf der Fraueninsel auch eine vertiefte Ausbildung zum ganzheitlichen Ayurvedakoch an.
Anmeldung zu den Kochkursen und Ausbildungen:
B’Ayurveda: Centrum für Ayurveda, Yoga & Indische Kultur, Seeplatz 4, 83257 Gstadt a. Chiemsee.