Das Filet ist fein, das rosa Roastbeef ein Genuss. Aber was passiert mit dem Rest des Tieres? Wiener Würstchen und Bratwurst? Nein! Immer mehr Restaurants servieren alles, von der Schnauze bis zum Schwanz.
Autor Oliver Zelt, Fotos ©foodhunter
Christoph Hauser bietet die „Rippe von der Claudi“ an. Der Koch salzt das rohe Fleisch, gibt eine Prise Zucker darüber und lässt sich anschließend für den Braten mächtig viel Zeit. Zwölf Stunden zieht die Rinderrippe bei 80 Grad bis die Fasern fast von selbst von den Knochen fallen. Dazu serviert Hauser in seinem Berliner Restaurant „Herz & Niere“ Kartoffeln, Spargel und selbst eingelegte Pflaumen.
Auf der Speisekarte bietet das Lokal noch Bratwurst und Gulasch „von der Claudi“ an. Claudi war eine Kuh, 16 Jahre alt, 324 Kilogramm schwer und hat ihr Leben auf den Wiesen von Guido Leinitz verbracht. Den Bauern aus dem Neuruppiner Ortsteil Bechlin lernte Hauser erst vor kurzem kennen und war sofort begeistert, wie viel Platz die Tiere dort auf den Weiden haben. Jetzt liefert Claudi Christoph Hauser und seinem Kompagnon Michael Köhle bestes Fleisch und Innereien für viele Mahlzeiten. – Rippe, Bries, Beinfleisch.
In vielen Restaurants liegen nicht mehr nur Filet und Rumpsteak auf dem Teller. Essen „from nose to tail“, „von der Schnauze bis zum Schwanz“.
Das ist das Credo von Fergus Henderson, englischer Koch und Kopf des Ich-esse-alles-Denkens. Das ist nicht neu. Das haben schon Hausers und Hendersons Großeltern so gemacht, weil sie nichts wegwerfen wollten. Neu ist, die Spitzengastronomie spricht tatsächlich vom „Respekt gegenüber dem Tier“, es ganz aufzuessen. Das ist nicht etwa kulinarische Angeberei um die Konkurrenz zu foppen.
Als Henderson 1994 im alten Londoner Schlachthofviertel Smithfield sein Lokal „St. John“ eröffnete, bot er „Gebackenes Knochenmark mit Petersiliensalat und Kapern“ an. „Nicht etwa, weil wir was Originelles machen wollten“, sagt der Sternekoch heute, „Wir wollten Gerichte servieren, die richtig gut schmecken“. Trotzdem war der Besuch offenbar ein Wagnis. Obwohl viele Gäste kamen „hatte ich den Eindruck, dass viele eher eine Mutprobe absolvierten als sich wirklich an unserem Essen zu erfreuen“. In seinem vor kurzem auf Deutsch erschienen Buch „Nose to tail“ stehen so großartige Gerichte, wie „Gepresstes Schweineohr“, „Perlhuhn, Rotkohl, Schweinefuß und Backpflaumen“ oder „in Fenchelzweige gewickeltes Kaninchen mit Speck“.
Fichtestraße 31, 10967 Berlin. T 030 - 69 00 15 22. Dienstag bis Sonntag ab 18:00 Uhr. www.herzundniere.berlin
„Das Nachdenken fängt an, wenn du eine Rinderhälfte so hängen siehst und denkst, Filet und Rücken, und was ist mit dem Rest?“ Der Berliner Christoph Hauser ist genauso drauf wie der Brite Henderson.
Die „Beinscheiben mit Knochenmark zum Auslöffeln“, freut sich Hauser, “sind ein Renner. Da kommt wirklich nur der blanke Knochen zurück in die Küche und fliegt dann tatsächlich in den Müll.”
Deshalb lag die Kuh Claudi mit Haut aber ohne Haare gevierteilt in der Küche. Vorher hat Hauser bei den Männern der „Hakenberger Fleischerei“ in Neuruppin angerufen. „Die zerlegen das Tier dann so, wie wir es haben wollen“. Auch reifes Fleisch sollte noch reifen, findet der Berliner Koch. Vier Wochen hingen die Viertel in der klimatisierten Kammer. Der Geschmack sei dann „phänomenal“. Was sich am besten mit „wunderbar intensiv“ übersetzen lässt. Die Gäste sind davon offenbar begeistert, denn von der Kuh bleibt fast nichts übrig. Die „Beinscheiben mit Knochenmark zum Auslöffeln“, freut sich Hauser, sind ein Renner. Da kommt wirklich nur der blanke Knochen zurück in die Küche und fliegt dann tatsächlich in den Müll.
Hauser und Köhle wählten den Namen ihres Restaurants „Herz & Niere“ ganz bewusst. Er soll zum Nachdenken anregen. Am Anfang freuten sich viele, endlich einen Ort gefunden zu haben, wo sie das essen konnten, was Partner oder Freunde verabscheuten, nämlich Innereien. Fast beglückt erzählten sie wie „Oma einst das Lammhaschee immer mit grob geschnittener Petersilie kochte“. Andere versicherten dagegen gleich mal, dass sie „nie Kutteln essen würden, weil sie das früher für den Hund abkochen mussten“. Das „Herz & Niere“ ist eigentlich kein Innereien-Restaurant, obwohl schon mal Hoden, Kutteln und Herz auf der Karte stehen.
Das ganze Tier bleibt für die Köche Überzeugungsarbeit. „Manchmal hilft da eine Miniportion, um die Gäste vielleicht doch umzustimmen“.
Der klassische Lehrplan für die Innereien-Ausbildung beginnt mit einer „Niere süß-sauer“, sagt Hauser. Selbst ein gedämpftes Hirn ist dezent im Geschmack, aber schwierig, weil das Gehirn des Menschen sagt, nein das will ich eigentlich nicht. Richtig rustikal und für die mutigen Esser ist „eine rosa gebratene Schweineleber“ sagt Koch Hauser.
Es ist zwar gerade hipp, das Tier von der Schnauze bis zum Schwanz zu essen. Aber es bleibt immer noch etwas ganz Besonderes, wenn Backen, Brust und Bauchlappen in der Spitzengastronomie auf dem Teller liegen. „Wenn Fleisch in der Gastronomie ankommt, hat es in der Regel weder Kopf noch Gliedmaßen, es ist unblutig, sauber zerlegt und vakuumverpackt“, sagt Wolfgang Otto, der mit seiner Firma „Otto Gourmet“ viele Restaurants beliefert. Meist ebenfalls zerlegt und abgepackt. Dabei bietet das ganze Tier viel mehr als die vermeintlich edlen Teile aus den Katalogen der großen Foodfirmen.
Das Bürgermeisterstück war einst so begehrt, das nach dem Schlachtfest eben nur der Dorfschulze sich auf den Braten freuen durfte. Es liegt oberhalb der Keule und kaum ein Schlachter macht sich heute noch die Mühe, das zarte, einer Haifischflosse ähnliche Stück herauszuschneiden.
Maurer holt in seinem Kochbuch „Fleisch“ die vergessenen Teile wieder in die Küche. Etwa das Fledermausstück, das am Hüftknochen der Keule liegt und so groß wie eine Handfläche ist.
Ludwig Maurer, bayerischer Koch, der auf seinem Bio-Hof in Rattenberg die legendären Wagyu-Rinder züchtet, veredelt das, was eigentlich nicht mehr als edel gilt. Wenn er den Metzger einst nach der einen oder anderen Seltenheit fragte, hörte er stets denselben Spruch, was er denn damit wolle. Um gleich darauf erklärt zu bekommen, was der Schlachter denn früher daraus gemacht habe. Maurer holt in seinem Kochbuch „Fleisch“ die vergessenen Teile wieder in die Küche. Etwa das Fledermausstück, das am Hüftknochen der Keule liegt und so groß wie eine Handfläche ist. Heute verschwindet es in der Wurst, schmeckt aber solo hervorragend, wenn es bei niedrigen Temperaturen gart. Eine halbe Stunde bei 54 Grad, dazu gibt Ludwig Maurer einen Sirup von Roter Bete.
Der Bayer stammt aus einer alten Gastronomen- und Wirtshausfamilie. Viele seiner Gerichte sind eine Reise in die eigene Vergangenheit. Maurer ist begeistert, wenn ihm sein Bio-Fleischer einen Schweineschwanz anbietet. Weil Bauern die Schwänzchen in der Massentierhaltung kappen, ist die Massenware von gestern Mangelware von heute. Eine Schande, auch weil das wenige Fleisch wirklich auf der Zunge zergeht.
Die Backe war bis vor kurzem ebenfalls so ein nutzloser Bissen. Schon seit einiger Zeit schwärmen selbst Sterneköche aber von dem unvergleichbar zarten Fleisch, das jedes Filet aussticht, egal ob beim Rind, Schwein oder Lamm. Maurer legt die Fettbacke vom Schwein auf den Grill-Smoker und serviert dazu gegrillten und gebutterten Mais sowie Popcorn. Das ist etwas zum Angeben auf der nächsten Grillparty.
Manchmal lässt sich Maurer hinreißen, ein Filet zu verwenden. Aber nur, wenn er es unkonventionell in einer Schweineblase gart.
Immer wieder fragen sich die Köche, ist der Gast bereit, wirklich alles zu essen? Gelegentlich hilft ein Trick. Spezielles mit Spezialitäten mischen. Dann schwimmen Kalbskutteln in einer feinen Champagnersauce, zum Schweinebauch gibt es Austern oder wie bei Ludwig Maurer bedeckt Blattgold das Kalbsbries
Von den Speisekarten der Hauptstadtrestaurants ist das traditionelle „Berliner Schnitzel“ fast verschwunden. Ein gekochtes, anschließend paniertes und ausgebackenes Stück Kuheuter.
In der „Restauration 1900“ am Kollwitzplatz können Gäste noch mal die kulinarische Kost von Gestern probieren. Vielleicht bald auch im „Herz & Niere“. „Ich mag es einfach nicht“, sagt Christoph Hauser. Aber ich habe einem Stammgast versprochen, es extra für ihn einmal zu kochen.