Keith Sides und Philip Wilton aßen schon seit Jahren vom selben Laib, bis sie den Mut aufbrachten, ihre Lust auf Käse als Geschäft aufzuziehen: wildes cheese, ein ausgereiftes Konzept. In einer alten Garage in Tottenham haben sie ein paar Liter Milch zu Käse gemacht. Wenige Kilos, Handwerkszeug waren Eimer, Lappen und Sieb. Heute ist die Existenz der urbanen Macher ein florierender Betrieb. Da kann ich nur sagen: Der Käse ist noch lange nicht gebissen!
Autor Carola Kühnl, Fotos Carola Kühnl
Das kleine Start-up-Unternehmen wildes cheese kam vor 4 Jahren auf den Markt und war von Null auf Hundert. Kein Käse! Mit der Verarbeitung von 100 Litern Milch in der Woche fing es an und schon nach ein paar Monaten mussten 2.500 Liter in Käse umgewandelt werden, um der Nachfrage Herr zu werden. Für einen Dreikäsehoch hat man Philip Wilton, den Gründer, gehalten, als er seinen Beruf als Unternehmensberater hingeschmissen hat und sich nur noch fürs Käsemachen interessierte.
„Verrückt sind die, die mit ihrem Beruf unzufrieden sind, jammern und bleiben. Nicht die Aussteiger“, lacht Philip.
Warum gerade Käse? „Keith und ich haben daheim herumexperimentiert, Käse zu machen, der anders schmeckt als im Supermarkt. Käse ist unglaublich vielfältig. Aus guter Milch lassen sich x-beliebig viele Sorten herstellen. Wir variieren zwischen 8 und 40 Sorten. Mit Kräutern, Chili, Käse geräuchert oder pur mit Quittenmark… Im Sommer gibt es mehr weich und frisch, im Winter hart und würzig. Ein Steak schmeckt immer gleich, fast… aber gut“, schwärmt der Philip. „Und ein Burger voller Shit schadet auch einem Vegetarier nicht. Stimmt doch, Keith?“ „Ebenso wenig Billigbier!“ Sich zu necken macht den Jungs Spaß, doch beim Käsemachen geht es um die Wurst: Man verwendet ausschließlich mikrobielles Lab für das Dicklegen der Milch. Die Käse tragen Namen von Frauen, sind „Blue but not Blue“ oder heißen wie Londoner Stadtviertel. Philip ist ein Designer und macht was er will: „Weil ich auch der Käse bin!“
Die größte Herausforderung von wildes cheese war es, einen Bauern aufzugabeln, dessen Vieh gutes Futter und somit gehaltvolle Milch hat. Eine überschaubare Herde in Sussex (50 Meilen im Norden von London) erfüllte die Anforderungen, doch zu schnell waren die Euter leergemolken. Es musste für die kleine Manufaktur Milch zugekauft werden. Der erste Probeschluck machte meine Augen weit und das Verlangen groß. Ich als wahrer Milchfanatiker war sichtlich angetan. Ist das Rohmilch? „Leicht erhitzt, Darling. So sind die Regeln. Wir haben keine Lizenz zur Roh-Verarbeitung“, ist die Antwort. Dennoch sind in Britannien die Vorschriften für die Herstellung und den Umgang mit Lebensmittel human. Existenzgründern greift die Regierung unter die Arme und zeigt nicht ständig den Finger aufs Gesetz. Die unzähligen Bauern- und Handwerkermärkte sind ein guter Einstieg.
wildes cheese sichert 5 Personen die Existenz und gewährt einen interessanten und äußerst amüsanten Arbeitsplatz. Zu lachen gibt es viel, besonders als während unseres Gesprächs im Büro eine Flasche polnischer Likör zu Bruch ging. Er hing an der Wand, den Ordnern und machte den Bildschirm trüb. „Auweia, von einem Kunden. Wir hätten Käse damit waschen sollen. Sei’s drum, in London gibt‘s die besten Kopien“, ein gelassener Philip. Sonst werden die Käselaibe mit dunklem, unfiltriertem Bier von der kleinen Brauerei ums Eck gewaschen. Das gibt Würze und Geschmack.
Auch die Mitarbeiter sagen mir, wie gerne Kunden zu Käseseminaren ins Industriegebiet oder auf die Märkte kommen. Die Rollen sind klar verteilt: Philip betreut Einzelhändler, Restaurants und begleitet die Käseschulungen, Keith ist das Gesicht am Markt und Denker für den kompletten Online-Auftritt. Auch als eingefleischte Handwerker kann man nicht mehr ohne Facebook und Twitter. Das Handwerk aber verstehen beide, einen rechten Käse braucht man ihnen nicht erzählen.
„Ziel ist es, täglich professioneller zu werden. Innerlich zu wachsen und mit dem Käse langsam zu reifen. Zu Beginn waren wir wie weißes Papier.”
Heute stellen Keith und er aus dem Stegreif Diagnosen auf, was genau der Käse hat oder eben nicht. Strukturveränderungen können sie zeitig entgegenwirken, Reifefehler werden weniger. Ein Wissen mittlerweile, das auf keine Kuhhaut passt. In ihren hellen Kitteln sehen die zwei aus wie Ärzte, ohne die medizinische Strenge.
Bittere Arznei ist es nur, wenn vor lauter Arbeit kein Freiraum bleibt für kreatives Nichtstun. Für das Durchdenken neuer Ideen. Bei wildes cheese ist der Montag heilig, doch meist ein Dienst-Tag. Kommen neue Anmeldungen rein für Tages- oder Abendschulungen, werden die gleich registriert. Das Interesse ist enorm. Derzeit aktuell sind Mozzarella-Kurse samstags. Die wollen alle groß rauskommen, denn wir übertragen live ins Netz“, erklärt mir Philip die Umstände. „Stretch with us“ lautet hierzu das Thema. Auch generell, denn man kann sogar Hochzeitstorten ordern, Dreikäsehoch.
www.wildescheese.co.uk
https://www.foodhunter.de/ueber-carola-foodhunterin-aus-london/